Dienstag, 29. Januar 2019

SOLO: A STAR WARS STORY (Ron Howard, 2018)

Assume everyone will betray you and you will never be disappointed.

Im Nachhinein eine Vorgeschichte für die Figur des Han Solo zu erzählen, ist grundsätzlich eine blöde Idee, da die damit verbundene Erwartungshaltung gar nicht befriedigt werden kann. Ein Scheitern ist quasi unausweichlich. Erschwerend kommt hinzu, dass die Star-Wars-Saga auch nicht nach einer solchen Vorgeschichte verlangt. Während Rogue One noch eine sinnvolle Ergänzung darstellte und einige offene Fragen beantworten konnte („wie gelangten die Pläne des Todessterns in die Hände der Rebellen“, „warum hat eine derart perfekte Kampfstation eine solche Schwachstelle“, etc.), gibt es zur Herkunft von Han Solo keine Fragen, die zwingend beantwortet werden müssten. Alle zusätzlichen Informationen sind somit im besten Fall überflüssig, im schlechtesten Fall sogar geeignet, das Bild, das man seit vierzig Jahren von ihm hat, zu beeinträchtigen.

Denkbar schlechte Voraussetzungen also für Solo: A Star Wars Story. Immerhin konnte man nach einigem Hin und Her mit Ron Howard einen erfahrenen Regisseur, der sein Handwerk versteht, für das Projekt gewinnen. Mit der Wahl Alden Ehrenreichs als Hauptdarsteller bewies man hingegen ein weniger glückliches Händchen. Zwar macht er seine Sache nicht so schlecht, doch fehlt ihm erkennbar das Draufgängerische, das den von Harrison Ford gespielten Solo auszeichnete. Ehrenreichs Solo ist weniger der liebenswerte Halunke aus Episode IV als vielmehr ein sympathischer, verliebter Jüngling, der von einer großen Zukunft und seinem eigenen Raumschiff träumt. Hingegen verkörpert der von Woody Harrelson gespielte Tobias Beckett all jenes, was man bisher mit Solo verbunden hat und lässt Ehrenreich daneben ziemlich blass aussehen. 

Angesichts der schwierigen Ausgangssituation ist Solo: A Star Wars Story dennoch ein recht ansehnlicher Film geworden, der über die gesamt Spielzeit gut unterhält. Das von Star-Wars-Veteran Lawrence Kasdan in Zusammenarbeit mit seinem Sohn erstellte Drehbuch ist ganz brauchbar und sorgt mit einigen Wendungen zumindest dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Neben einem tollen Woody Harrelson kann auch Donald Glover als Lando Calrissian überzeugen und Paul Bettany hat ebenfalls einen gelungenen Auftritt als Oberschurke. Die Dialoge sind recht gewitzt und kommen überwiegend gut auf den Punkt. Zudem ist das Ganze routiniert inszeniert und schön fotografiert, die Effekte können ebenfalls überzeugen. Bezüglich der Frage, ob ich den Charakter der auf einem knallharten Emanzipationskurs befindlichen, resoluten Roboterdame L3-37 als gelungen ansehen soll, bin ich mir noch nicht ganz im Klaren. Eigentlich fand ich die Idee recht witzig, und sie ist auch auf durchaus originelle Art und Weise umgesetzt, doch die dezenten Andeutungen in Richtung einer romantische Züge annehmenden Beziehung zwischen L3-37 und ihrem Besitzer Lando fand ich dann doch etwas weit hergeholt und wenig glaubwürdig. 

Angesichts der eingangs formulierten Kritikpunkte ist die Tatsache, dass Solo: A Star Wars Story vielfach nur mäßige Begeisterung ausgelöst hat, verständlich. Bei nicht allzu kritischer Herangehensweise kann man aber durchaus seinen Spaß mit dem Film haben. Gegen den meiner Meinung nach hervorragenden Rogue One stinkt er jedoch ziemlich ab.

Mittwoch, 23. Januar 2019

RESCUE DAWN (Werner Herzog, 2006)

Herzogs filmische Umsetzung der Flucht des deutschstämmigen, in die USA ausgewanderten Piloten Dieter Dengler aus einem Gefangenenlager des mit dem Vietcong verbündeten Pathet Lao in Laos basiert auf einer wahren Geschichte. Diese hatte er bereits zehn Jahre zuvor in einem Dokumentarfilm aufgearbeitet, den ich nicht kenne. Ich bin aber überzeugt, dass er weitaus interessanter ist als Rescue Dawn. Dessen größte Schwäche ist die Wahl von Christian Bale als Hauptdarsteller. Bale hat zwar ein paar gute Filme gemacht, aber als begnadeten Schauspieler habe ich ihn nie wahrgenommen. Doch so schwach wie in Rescue Dawn habe ich ihn zuvor noch nie gesehen. Über weite Strecken wirkt er völlig überfordert. 

Dabei ist die erste Hälfte des Films noch recht spannend geraten. Ähnlich wie im großen Vorbild The great Escape planen die Inhaftierten ihre Flucht bis ins kleinste Detail und versuchen, alle möglichen Probleme im Vorfeld zu berücksichtigen. Der eigentliche Ausbruch läuft dann natürlich völlig chaotisch ab und ganz anders als geplant.

Im zweiten Teil, der die Flucht durch den Dschungel zeigt, wird es dann ziemlich langweilig. Es passiert wenig und insbesondere Denglers Begleiter Duane, der sich schon während des Ausbruchs übergibt und anschließend mit permanenter Leidensmiene durch die Gegend torkelt, stellt den Zuschauer auf eine harte Probe. So ist man fast erleichtert, als er endlich von den Häschern des Pathet Lao zur Strecke gebracht wird.

Nach Denglers Rettung wird es dann richtig albern: Während er gerade von der CIA im Krankenlager verhört wird, kommen seine alten Kameraden mit einer großen Kiste samt Geburtstagstorte und bringen ihn heimlich zurück auf den Flugzeugträger. Dort wird er dann von der gesamten Crew mit überschwänglichem Pathos wie ein Superstar gefeiert.

Im Gegensatz zu dem kürzlich gesichteten 13 Strong oder vergleichbaren Filmen verfolgt Rescue Dawn einen sehr minimalistischen Ansatz. Im Ergebnis ist so ein realistischer und authentisch wirkender Film entstanden. Abgesehen von der albernen Schlussfeier könnte sich das meiste durchaus so ähnlich abgespielt haben. Dies ist grundsätzlich lobenswert, doch aufgrund der zahlreichen Schwächen hinterlässt Rescue Dawn einen zwiespältigen Eindruck. Dabei gibt es durchaus gute Ansätze, aber abgesehen von dem Teil der Handlung, der im Gefangenenlager spielt, bleibt wenig in positiver Erinnerung. Mit einem besseren Hauptdarsteller und einer etwas stringenteren Inszenierung wäre hier viel mehr möglich gewesen. Stoff für einen guten Film bildet die Geschichte allemal.

Donnerstag, 17. Januar 2019

12 STRONG (Nicolai Fuglsig, 2018)

Now you have killer eyes! 

12 Strong steht in einer Reihe mit Filmen wie Black Hawk Down, Lone Survivor, 13 Hours, etc. und ist ein typischer Vertreter seiner Art. Im Mittelpunkt steht jeweils eine amerikanische Spezialeinheit in einem fremden Land, die sich einer feindlichen Übermacht gegenüber sieht. Auch wenn die Hintergründe jeweils etwas anders gelagert sind, ist der Ablauf doch stets sehr ähnlich. Zu Beginn werden die Hintergründe des Konflikts kurz erklärt, bevor sich die Helden von ihren Familien verabschieden und ins Einsatzgebiet gebracht werden. Dort sehen sie sich einer Übermacht feindlicher Kämpfer gegenüber.

Ich mag solche Filme grundsätzlich gerne, auch wenn sie zumeist ein sehr einseitiges Loblied auf den amerikanischen Patriotismus singen und dabei an der Grenze zur Militärpropaganda nur knapp vorbeischrammen. 12 Strong ist dabei glücklicherweise ein eher zurückhaltender Vertreter, zumal von Anfang an klar ist, dass die Mission nur darin besteht, die Luftunterstützung für die Nord-Allianz zu koordinieren. Man ist also auf die Hilfe der Einheimischen dringend angewiesen. 

Die Handlung ist kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 angesiedelt und basiert auf dem Buch Horse Soldiers des Journalisten Doug Stanton, das angeblich die wahre Geschichte einer zwölfköpfigen US-Spezialeinheit erzählt, die bei der Befreiung der Stadt Masar-e Scharif von der Herrschaft der Taliban im Rahmen der Operation Enduring Freedom die amerikanischen Luftschläge vom Boden aus koordinierte. Inwieweit die geschilderten Geschehnisse der Realität entsprechen sei dahingestellt, zumal die Authentizität derartiger „journalistischer“ Ergüsse ohnehin grundsätzlich bezweifelt werden muss. Ist aber völlig egal, denn wer eine Jerry-Bruckheimer-Produktion guckt, erwartet keine seriöse Geschichtsstunde sondern kurzweilige Unterhaltung und vor allem jede Menge Action, Schießereien und Explosionen. Und davon bietet 12 Strong reichlich. Der Subwoofer hat jedenfalls ordentlich zu tun. 

Für die Regie verpflichtete man den Dänen Nicolai Fuglsig, der mir völlig unbekannt ist. 12 Strong war sein Spielfilmdebut, und diese Aufgabe hat er sehr ordentlich gemeistert. Im Mittelpunkt der Handlung steht die von Zweifeln und Misstrauen geprägte Beziehung zwischen dem Hauptmann der Spezialeinheit, Nelson, und einem der untereinander zerstrittenen Führer der Nord-Allianz, General Dostum – inzwischen übrigens erster afghanischer Vizepräsident. Anfangs ignoriert Dostum Nelson geradezu, weil jener über keinerlei Kampferfahrung verfügt und Dostum ihm dies an den Augen ansieht. Im Laufe des Films entwickelt sich zwischen den beiden eine Art Freundschaft, was angeblich auch im echten Leben so war – so suggeriert es zumindest eine Einblendung am Ende des Films. In den Dialogen zwischen den beiden bemüht man sich redlich, auf die Beweggründe der Kämpfer einzugehen. Dennoch bleiben diese – abgesehen von ihrem General – eine gesichtslose Masse. Auch die Bösartigkeit der Taliban wird in mehreren, kleinen Szenen herausgestellt. Die Grenzerfahrung Nelsons, das erste Mal im Kampfeinsatz gegnerische Kämpfer zu töten, wird ebenfalls thematisiert, doch letztlich wird daraus zu wenig gemacht.

Das Hauptaugenmerk liegt klar auf den gut inszenierten Kampfszenen, denen man die Unerfahrenheit des Regisseurs nicht anmerkt. Wie durch ein Wunder überlebten alle 12 Mitglieder der Spezialeinheit die Mission – zumindest dies darf man als geschichtlich verbürgt ansehen. 12 Strong bietet kurzweilige Unterhaltung ohne großen Anspruch und bläst einem die Ohren ordentlich durch. Mehr durfte man auch nicht erwarten.

Dienstag, 15. Januar 2019

BRAWL IN CELL BLOCK 99 (S. Craig Zahler, 2017)

I’m more of a finisher.

Der frühere Boxer Bradley Thomas verliert seine Arbeit und arbeitet dann als Drogenkurier für seinen Freund und Auftraggeber Gil, um seiner Frau ein besseres Leben zu ermöglichen. Bei einem Auftrag geraten er und seine beiden Begleiter, die für einen dubiosen Partner von Gil arbeiten, in einen Polizeihinterhalt. Statt unerkannt zu fliehen, hilft er den Polizisten gegen seine schießwütigen Begleiter, wird verhaftet und anschließend zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt.

Dass S. Craig Zahler ein wahres Multitalent ist, hat er durch seine vielfältigen Tätigkeiten als Schriftsteller, Drehbuchautor, Kameramann und Musiker hinlänglich unter Beweis gestellt. Sein Regie-Debut Bone Tomahawk hat mir seinerzeit ausgesprochen gut gefallen, weil es auf originelle Weise das Western-Genre mit dem Kannibalenfilm verband. Im Gedächtnis blieben vor allem die derben Splatterszenen und genau da macht Zahler mit seinem zweiten Film weiter. Denn auch Brawl in Cell Block 99 wird in der zweiten Hälfte des Films ziemlich splattrig, wobei es sich ansonsten um ein traditionelles Gefängnisdrama handelt. Wie schon beim Vorgänger zeichnete Zahler neben der Regie nicht nur für das Script sondern – zusammen mit seinem Kumpel Jeff Herriott – auch für den Score verantwortlich.

Vince Vaughn, dessen Namen ich bisher eher mit Komödien in Verbindung gebracht habe, ist eine erstklassige Wahl für die Hauptrolle. Sein Bradley Thomas verfügt nicht nur über eine beeindruckende Statur, sondern aufgrund seiner Vergangenheit als Boxer auch über herausragende kämpferische Fähigkeiten. Seine Kraft stellt er gleich zu Beginn eindrucksvoll unter Beweis, als er aus Wut über das Fremdgehen seiner Frau wie ein Berserker mit bloßen Händen auf deren Auto einschlägt. Dennoch verabscheut er körperliche Gewalt gegen Unschuldige. Dies bringt ihn letztlich erst ins Gefängnis, denn wäre er einfach geflohen statt den Polizisten zu helfen, hätte er unerkannt entkommen können. Erstmal im Gefängnis, dreht sich die Spirale der Gewalt unaufhaltsam weiter, denn Gils Partner Eleazar will sich für den begangenen Verrat rächen und lässt Bradleys schwangere Frau entführen.

Gut ausgearbeitete Charaktere zeichneten bereits Zahlers Debut aus. Und auch hier gelingt es ihm, ein recht detailliertes Bild des Protagonisten zu zeichnen, der gegen seinen Willen zu immer extremeren Gewaltexzessen getrieben wird. Darüber hinaus scheint Zahler ein Faible für altgediente Recken aus der zweiten Riege der Darsteller zu haben. Nachdem er bereits Kurt Russell zu einer tragenden Rolle in seinem Debut verholfen hatte, sind dieses Mal Don Johnson und Udo Kier mit von der Partie. Insbesondere Johnson merkt man die pure Freude darüber deutlich an, den sadistischen Gefängnisleiter spielen zu dürfen, und auch Udo Kier gefällt in einer undurchsichtigen, schmierigen Rolle.

Die Gewaltausbrüche kommen zum Teil ziemlich überraschend und werden etwas zartbesaitete Gemüter, die womöglich einfach einen spannenden Gefängnisfilm erwartet hatten, vermutlich vor den Kopf stoßen. Sie passen aber perfekt zu den düsteren, verdreckten Gefängnisräumen, in denen sich die Szenen abspielen. Insbesondere die Kammer mit den Folterutensilien weckt Assoziationen an einen mittelalterlichen Kerker zu Zeiten der Inquisition. Um eine Resozialisierung der Gefangenen mit dem Ziel, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren, geht es im Zellenblock 99 sowieso nicht mehr. Hier gilt es nur noch, die extremen Gewalttäter irgendwie unter Kontrolle zu halten. Bei Bradley versagen jedoch alle bewährten Mechanismen. 

Brawl in Cell Block 99 versprüht eine ungezügelte Kraft und kann mit seinem erfrischenden Ansatz, der Altbewährtes in ungewohnter Form kombiniert, überzeugen. Noch dazu beweist Vince Vaughn, dass er weit mehr kann als flache Komödien. Auf die weiteren Arbeiten des Herrn Zahler darf man sehr gespannt sein.

Sonntag, 13. Januar 2019

PEPPERMINT (Pierre Morel, 2018)

You didn't serve justice, Your Honor. But I will.

Irgendwo habe ich gelesen, Peppermint sei „Death Wish on steroids“ und das trifft den Nagel auf den Kopf. Jennifer Garner pflügt mit eiskalter Präzision als Rächerin Riley North durch die gut 100 Minuten und lässt die Schergen des lokalen Drogenhändlers Diego zu Dutzenden über die Klinge springen. Wobei – genauer gesagt – ein sauberer Kopfschuss ihre bevorzugte Hinrichtungsmethode ist. Im Vergleich dazu wirkt Paul Kersey wie ein Waisenknabe. Der Härtegrad ist deftig, die Inszenierung rasant und die Bilder sind ausgesprochen stylisch. Egal, ob ein versifftes Armenviertel oder die prachtvoll ausgestattete Luxusvilla des Drogenbarons – ein Gefühl für ansehnliche Bildkompositionen kann man Pierre Morel und seinem Kameramann David Lanzenberg nicht absprechen.

Die Charakterzeichnung bleibt dabei erwartungsgemäß auf der Strecke. Obwohl man Riley den gesamten Film über folgt, weiß man am Ende fast nichts über sie. Auch die fünf Jahre zwischen dem Mord an ihrer Familie und dem Beginn ihres Rachefeldzugs bleiben komplett im Dunkeln. Man erfährt lediglich, dass sie sich zwischendurch als MMA-Kämpferin verdingte, um sich auf die kommende Kämpfe körperlich und psychisch vorzubereiten.

Diese inhaltliche Leere fällt jedoch überhaupt nicht negativ ins Gewicht. Man erfährt immerhin genug, um mit ihr auf ihrer Mission mitfiebern zu können, zumal die Dialoge überwiegend gut auf den Punkt kommen. Ein paar kernige One-Liner dürfen dabei natürlich auch nicht fehlen. Garners schauspielerische Leistung ist tadellos. Die von Verlustschmerz und Rachedurst zerfressene Frau spielt sie sehr überzeugend und sieht dabei sogar noch gut aus. Eine kritische Bewertung ihrer Taten findet lediglich durch die Polizei statt, die aber – abgesehen von der finalen Konfrontation – immer einen Schritt zu spät kommt. In den sozialen Medien hingegen wird sie als Schutzengel der Schwachen regelrecht gefeiert, und auch die Obdachlosen fühlen sich dank Riley wieder sicher. Ihre Identität ist allen Beteiligten praktisch von Anfang an bekannt. Trotzdem gelingt es weder Diegos Häschern noch dem FBI, ihrer habhaft zu werden.

Wer einen intelligenten und halbwegs glaubhaften Actionfilm sehen will, ist hier komplett fehl am Platz. Gegen die eher zierliche Jennifer Garner sind selbst die durchtrainiertesten Auftragskiller völlig chancenlos. Bevor sie wissen, was los ist, spritzt ihre Hirnmasse schon durch die Gegend. Freunde von comichaft überzeichneter Gewalt und stylisch inszenierten Hinrichtungen kriegen hier hingegen die Vollbedienung. Peppermint scheißt einen riesengroßen Haufen auf die allgegenwärtige political correctness und reibt dem pikierten Publikum seine „Selbstjustiz-ist-geil“-Message mit ausgestrecktem Stinkefinger unter die Nase. Und das gelungene Ende setzt auf den Haufen dann noch das Sahnehäubchen oben drauf. Sehr schön.

Donnerstag, 10. Januar 2019

BLUE RUIN (Jeremy Saulnier, 2013)

I'm not used to talking this much.

Zu Beginn des Films beobachten wir den Obdachlosen Dwight Evans dabei, wie er in ein fremdes Haus einbricht, um dort ein Bad zu nehmen und auf einem Jahrmarkt die Müllsäcke nach verwertbaren Dingen durchsucht. Nachts hält er sich in seinem alten, verrosteten blauen Pontiac auf, den er am Strand geparkt hat. Als ihm eines Tages die Polizei mitteilt, dass der Mörder seiner Eltern freigelassen werden soll, beschließt er spontan, sich an ihm zu rächen. Obwohl seine Versuche, sich eine Schusswaffe zu besorgen, scheitern, gelingt es ihm, den Mörder zu richten.

Blöderweise muss er dabei sein Auto zurücklassen, was dessen Brüdern Rückschlüsse auf seine Identität erlaubt. Dadurch setzt er eine unaufhaltsame Spirale der Gewalt in Gang, denn das Auto ist unter der Adresse seiner toten Eltern registriert, wo nun seine Schwester mit ihren kleinen Kindern residiert. Und so wird aus dem ursprünglich geplanten singulären Vergeltungsakt schnell eine veritable Familienfehde. Keiner der Beteiligten informiert die Polizei. Vielmehr will man das nach alter Tradition selbst regeln, gemäß dem biblischen Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. 

Selten bin ich die Sichtung eines Films so unvorbereitet angegangen wie die von Blue Ruin. Ich wusste vorher nicht, worum es in dem Film geht, von dem Regisseur hatte ich noch nie etwas gehört und sämtliche Darsteller waren mir völlig unbekannt. Lediglich Amy Hargreaves habe ich schon mal in irgendeinem Film gesehen, ansonsten allesamt unbeschriebene Blätter. Umso erfreulicher, dass die Sichtung bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.

Jeremy Saultier ist mit seiner zweiten Regiearbeit ein ganz ausgezeichneter kleiner Film gelungen, der mich durch seine ruhige und unaufgeregte Erzählweise regelrecht begeisterte. Dialoge werden nur sparsam eingesetzt, teilweise wird minutenlang gar nichts gesprochen. Auch die Vorgeschichte – der Mord an den Eltern – wird nur kurz angerissen. Filmen, die den Zuschauer nicht vollquasseln und mit Informationen überfluten, bin ich seit jeher gewogen. Blue Ruin ist dafür ein Musterbeispiel: Der Zuschauer erfährt nach und nach alles was er wissen muss, zusätzliche Details dienen allenfalls der stimmungsvollen Ausgestaltung einzelner Szenen.

Das geringe Budget von gut 400.000 Dollar sieht man dem Film zwar an, jedoch macht es sich nicht negativ bemerkbar, sondern lässt die Macher aufgrund des bei der Produktion an den Tag gelegten Enthusiasmus nur noch sympathischer erscheinen. Das beschauliche Hinterland Virginias, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, bildet den perfekten Rahmen für die Geschichte und der mir bislang völlig unbekannte Macon Blair, bei dem es sich um einen Freund des Regisseurs handelt, trägt den Film souverän auf seinen schmächtigen Schultern.

Das Ende mündet dann in die zu erwartende Eskalation und lässt alle Beteiligten als Verlierer zurück. Aber immerhin ist der Rachedurst gestillt.

Mittwoch, 9. Januar 2019

HEREDITARY (Ari Aster, 2018)

Hereditary ist das Spielfilmdebut des amerikanischen Regisseurs Ari Aster und wurde von den Kritiken regelrecht abgefeiert. Ein bemerkenswerter Film ist Hereditary sicherlich, aber auch weit davon entfernt, der Meilenstein des Horrorgenres zu sein, zu dem er in der Presse zum Teil stilisiert wurde. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass Aster über die Gabe verfügt, eine unheilvolle Stimmung zu erzeugen und diese langsam aber stetig in eine beinahe unerträgliche Intensität zu steigern. Die erste Stunde von Hereditary ist in ihrer andeutungsschwangeren, beklemmenden Atmosphäre wirklich meisterhaft. Man fühlt das Unheil unaufhaltsam näherkommen, kann es aber nicht greifen.

Dem Zuschauer wird ziemlich schnell klar, dass es sich bei der Familie Graham um eine Ansammlung neurotischer Charaktere handelt. Keines der Familienmitglieder – vielleicht mit Ausnahme des Vaters – verhält sich auch nur annähernd normal. Den Vogel schießt die offensichtlich verhaltensgestörte Tochter Charlie ab, die am offenen Sarg ihrer Großmutter genüsslich eine Tafel Schokolade verzehrt und in der Pause des Schulunterrichts nicht Besseres zu tun hat, als einer toten Taube den Kopf abzuschneiden. Deutlich spürbar ist auch das Misstrauen der Familienmitglieder untereinander, dessen Hintergründe erst im späteren Verlauf erklärt werden. Als Zuschauer hat man das Gefühl, niemandem trauen zu können, wobei insbesondere von Charlie eine diffuse Bedrohung auszugehen scheint. Diesen Trumpf gibt Aster jedoch durch ihr frühes Ableben schnell aus der Hand. 

Und auch sonst macht Aster aus der vielversprechenden Ausgangslage zu wenig. Das anfangs unerklärliche Verhalten der Familienmitglieder will irgendwie plausibel gemacht, die Ursachen wollen offengelegt werden. Dabei griff er auf einen der ältesten und abgeschmacktesten Tricks des Genres zurück, nämlich das Heraufbeschwören eines bösen Dämons im Rahmen einer Séance. Nachdem die Katze aus dem Sack ist, geht es mit dem Film auch zügig bergab. In der zweiten Filmhälfte verspielt Hereditary einen Großteil des Kredits, den er sich zu Beginn erarbeitet hat. Die letzte Szene, in der eine schwarze Messe zelebriert wird, wirkt dann überhaupt nicht mehr unheimlich sondern nur noch lächerlich. Viel cleverer wäre es gewesen, den Film nach dem Fenstersturz zu beenden. Dies hätte Hereditary zumindest einen einigermaßen würdigen Abgang beschert.

Zu loben ist neben den überzeugenden Darsteller-Leistungen vor allem das hervorragende Sounddesign von Colin Stetson, das ganz erheblich zu der bedrohlichen Stimmung beiträgt. Gabriel Byrne habe ich seit einer gefühlten Ewigkeit in keinem Film mehr gesehen. Dabei war der Mann durchaus aktiv in den letzten Jahren, nur kenne ich keinen der Filme, in denen er mitgespielt hat. Der von ihm gespielte Familienvater verhält sich noch am rationalsten und versucht ebenso mühsam wie erfolglos, die immer weiter auseinander driftende Familie zusammenzuhalten. Letztlich bleibt er aber nur die ungehört verhallende Stimme der Vernunft in einer Kakophonie des Wahnsinns. Toni Colette bietet eine geradezu beängstigende Vorstellung. Der von ihr verkörperten Annie möchte man nicht mal im hellen Tageslicht begegnen.  

Die Zutaten passen also, und mit einem besseren Drehbuch hätte Hereditary sicherlich ein herausragender Film werden können. Durch die blödsinnige Dämonengeschichte wird viel Potential unnötig verschenkt. Sehenswert ist Ari Asters Debut aber allemal.

Freitag, 4. Januar 2019

ALL THE MONEY IN THE WORLD (Ridley Scott, 2017)

If you can count your money, you are not a billionaire.

Scotts filmische Umsetzung der Entführung des Getty-Enkels Paul 1973 in Rom war vor allem dadurch in den Schlagzeilen, dass Kevin Spacey, der ursprünglich den Öl-Magnaten Getty gespielt hatte, im Zuge der unsäglich verlogenen #MeToo-Debatte gefeuert und durch Christopher Plummer ersetzt worden war, mit dem die jeweiligen Szenen dann nachgedreht wurden. Inwieweit sich dieser Besetzungswechsel auf den Film ausgewirkt hat, ist natürlich schwer zu beurteilen. Klar ist jedoch, dass der fast 90-jährige Plummer eine derart mitreißende Performance abliefert, dass dies alleine schon Grund genug für eine Sichtung des Films ist. Im Übrigen passt er schon vom Alter her viel besser, denn der deutlich jüngere Spacey hatte spezielles Make-up benötigt, um seine Rolle glaubhaft darstellen zu können.

Mit Scotts Filmen ist das ja meist so eine Sache: insbesondere seine letzten Werke weisen bei kritischer Betrachtung häufig eine Reihe von Schwachstellen auf. Dazu zählen regelmäßig die Charakterzeichnung der Figuren und die Dialoge. Dies ist bei All the Money in the World ganz anders. Auch ohne die bei mir immer bereit liegende rosarote Ridley-Scott-Brille – ich mag seine Filme einfach – gibt es hier wenig auszusetzen.

Soweit ich das nachvollziehen konnte, hielt man sich weitgehend an die tatsächlichen Ereignisse. Mit der Figur des von Mark Wahlberg verkörperten ehemaligen CIA-Agenten Fletcher Chase etablierte man neben Pauls Mutter eine weitere Identifikationsfigur, die dabei hilft, Struktur in die Erzählung zu bringen. Diese Maßnahme wurde wohl als nötig angesehen, denn – und da wären wir beim einzigen Schwachpunkt des Films – Michelle Williams kann nur in Teilen überzeugen und wirkt mit der Rolle von Pauls Mutter zum Teil überfordert, was – und das ist dann wieder ganz witzig – auch irgendwie zur Rolle passt, denn wer wäre in der Situation, in der sich ihre Figur befand, nicht überfordert? Dennoch eine bestenfalls durchschnittliche Leistung, für die sie merkwürdigerweise sogar eine Golden-Globe-Nominierung erhalten hat. 

Die besten Szenen des Films sind alle, in denen Christopher Plummer präsent ist. Sein John Paul Getty ist ein eiskalt berechnender Machtmensch, der womöglich – dies wird in einer Szene am Anfang angedeutet – gerne mehr Familienmensch wäre, seinen geschäftlichen Aktivitäten jedoch alles andere unterordnet. Dabei fühlt man sich mehr als einmal an Orson Welles‘ Porträt des Verlegers Charles Foster Kane erinnert. Auch wenn viele Details und ein Großteil der Dialoge erfunden wurden, scheint die Figur nicht allzu weit vom echten Getty entfernt zu sein. Immerhin ist überliefert, dass er sich nach der Freilassung seines Enkels weigerte, dessen Dank für die Bezahlung des Lösegelds entgegen zu nehmen und von seinem Sohn anschließend 800.000 Dollar mit Zinsen als Ausgleich für das Lösegeld zurückforderte.

All the Money in the World ist also nicht nur Entführungsgeschichte und Familiendrama, sondern vor allem eine faszinierende Charakterstudie des damals wohl reichsten Menschen der Welt. Die Inszenierung ist gewohnt souverän, die Dialoge sind pointiert, die Sets wirken authentisch und die Darsteller machen ihre Sache – mit Ausnahme von Michelle Williams – allesamt gut. Insgesamt eine runde Sache.