Sonntag, 31. Januar 2016

SINISTER (Scott Derrickson , 2012)

I'll make you famous again.

Bei Sinister handelt es sich um einen im besten Sinne des Wortes klassischen Horrorfilm, der ganz ohne die in den letzten Jahren in Mode gekommenen optischen Spielereien auskommt. Die Story klingt im ersten Moment nicht sonderlich aufregend: Der finanziell abgebrannte Schriftsteller Ellison (Ethan Hawke), dessen letzter großer Erfolg zehn Jahre zurückliegt, zieht mit seiner Familie in ein leer stehendes Haus, in dem zuvor die dort lebende Familie an einem Baum im Garten aufgehängt worden war. Er will den Fall, der nie aufgeklärt wurde, recherchieren, um darüber ein Buch zu schreiben in der Hoffnung, wieder in die Erfolgsspur zurückzufinden und einen weiteren Bestseller zu landen. Kommt einem alles bekannt vor. Doch schon die erste Szene macht neugierig, in der die Hinrichtung der ehemaligen Bewohner als verrauschter und verwackelter Super-8-Film gezeigt wird. Und spätestens nachdem Ellison auf dem Dachboden auf eine Kiste mit weiteren Super-8-Filmen stößt, die harmlose Beschriftungen wie "Pool-Party" oder "BBQ" tragen und von denen jeder eine weitere ziemlich kranke Hinrichtung zeigt, war mein Interesse geweckt. Ritualisierte Morde haben mich seit jeher fasziniert.

Die Ausgangslage war also schon mal vielversprechend, doch auch darüber hinaus macht Sinister (fast) alles richtig. Es wird wenig Konkretes gezeigt, dafür umso mehr auf den Aufbau einer sich kontinuierlich steigernden Spannung gesetzt. Eine unheilvolle Stimmung, die sich immer mehr verdichtet und das Gefühl einer permanenten Bedrohung, die immer vage bleibt und sich nicht greifen lässt. Das Sounddesign ist ganz hervorragend und trägt einen erheblichen Teil dazu bei, dass der Stimmungsaufbau so gut gelingt. Hin und wieder gibt es einen gut sitzenden Schockeffekt, doch auch diese werden so dosiert eingesetzt, dass keine Abnutzungserscheinungen auftreten. Darüber hinaus kann der Film auch mit guten Dialogen und souveränen Darstellern punkten. Vor allem aber hat mich die Konsequenz überzeugt, mit der Derrickson das Konzept bis zum bitteren Ende durchzieht. Spätestens hier versagt ein Großteil der Horrorfilme, die ihre eigentlich interessante Prämisse irgendwann aufgeben. Nicht so Sinister. Unbarmherzig steuert die Handlung auf die Katastrophe zu. Es gibt keine Erlösung. Besonders perfide dabei ist, dass Ellison im Gegensatz zu den meisten Protagonisten in vergleichbaren Filmen irgendwann die Gefahr erkennt, der er seine Familie ausgesetzt hat und bereit ist, alle seine Ziele aufzugeben, um seine Familie in Sicherheit zu bringen. Hals über Kopf verlassen sie mitten in der Nacht das Haus, um zurück in ihre alte Heimat zu fahren, nicht ahnend, dass gerade dieser Schritt ihr Schicksal besiegelt. Das Heft des Handelns hatte Ellison in Wahrheit nie in der Hand. Die der Geschichte immanenten Regeln können nicht gebrochen werden, und so nehmen die Dinge unaufhaltsam ihren Lauf.

Seit vielen Jahren hat mich kein klassischer Horrorfilm so beeindruckt wie Sinister. Und ein Stück weit hat er mir sogar Angst gemacht oder zumindest ein mulmiges Gefühl beschert. Mehr kann man von seinem guten Horrorfilm nicht verlangen.

Donnerstag, 28. Januar 2016

SHARKNADO (Anthony C. Ferrante, 2013)

Apocalypse, my ass!

So, nun habe ich dieses Wunderwerk der Filmkunst auch mal gesehen, nachdem ich schon so viel darüber gehört hatte. Alleine die Idee, Los Angeles von einem Tornado heimsuchen zu lassen, der tausende blutrünstiger Haien durch die Luft wirbelt und in alle nur denkbaren Winkel katapultiert, ist so bekloppt, dass man sich das eigentlich nicht entgehen lassen darf. Die Umsetzung ist natürlich äußerst bescheiden. Würde man Sharknado nach objektiven Kriterien beurteilen, müsste man zwangsläufig zu einem schwachen Ergebnis kommen. Die Story als hanebüchen zu bezeichnen, ist schon stark untertrieben, die Darsteller sind durch die Bank unterirdisch schlecht, die Effekte schwanken zwischen gerade noch akzeptabel und lächerlich, wobei die zweitgenannte Kategorie diejenige ist, die in 90 % zur Anwendung käme, einen vernünftigen Plot gibt es nicht, die Inszenierung ist holprig wie eine Buckelpiste und die Dialoge klingen größtenteils so, als hätte ein Zwölfjähriger sie geschrieben.

Und dennoch: einen gewissen Unterhaltungswert kann man dem Machwerk keineswegs absprechen. Ich würde sogar soweit gehen, insbesondere die zweite Hälfte als höchst unterhaltsam zu bezeichnen, denn Sharknado ist einfach ein großer Spaß. Nicht umsonst handelt es sich um den bis dato erfolgreichsten Film der berüchtigten Asylum-Studios und zog immerhin zwei Fortsetzungen nach sich. Vermutlich ist es hilfreich, wenn man vor der Sichtung eine halbe Kiste Bier trinkt oder sich durch andere geeignete Substanzen in Stimmung bringt, aber auch nüchtern hatte ich mit dem Streifen eine Menge Spaß. Dies ist vor allem auf den schier endlosen Einfallsreichtum seiner Macher zurückzuführen, die ein ganzes Füllhorn an bekloppten Ideen über den Zuschauer ausschütten und ihn aus dem Staunen nicht mehr herauskommen lassen. Haie, die vom Sturm getragen auf Hausdächern landen, gehören dabei noch zu den harmlosen Sachen. Es gibt Haie, die aus Gullideckeln kommen, einen Hai, der von unten an die Stufen einer Hängeleiter springt und sich dort festbeißt oder ein knapp bekleidetes Mädel, das aus einem fliegenden Hubschrauber stürzt und im freien Fall von einem Hai verschlungen wird. Der heilige Ernst, mit dem die talentfreien Darsteller bei der Sache sind, ist herrlich. Höhepunkt ist dann eine Szene, in der der Held mitsamt seiner Motorsäge von einem Hai verschluckt wird und sich dann mit der Säge aus dem Magen des Tiers blutreich zurück ins Freie kämpft. Und als wäre das nicht schon lächerlich genug, greift er nochmal kurz durch die frisch geschnittene Öffnung und zaubert die zehn Minuten vorher verschlungene Dame hervor, die dann mal eben durch Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbelebt wird. Spätestens hier lag ich vor Lachen fast auf dem Boden, und es gibt weiß Gott nicht viele Filme, die das schaffen. Alleine dafür gebührt Sharknado - aller offensichtlichen Mängel zum Trotz - ein Platz in meiner persönlichen Ruhmeshalde der Trash-Filme. Sollte man wirklich mal gesehen haben.

Mittwoch, 27. Januar 2016

LÅT DEN RÄTTE KOMMA IN (Tomas Alfredson, 2008)

Låt den rätte komma in, der in Deutschland unter dem seltsamen Titel So finster die Nacht veröffentlicht wurde, wollte ich schon seit Jahren immer mal sehen. Nun habe ich das endlich nachgeholt und bin ziemlich begeistert. Kürzlich habe ich mich nach der Sichtung von It follows noch über Mittelmäßigkeit der aktuellen Beiträge zum Genre des Horrorfilms ausgelassen, da zeigt Alfredson mit seinem vierten Spielfilm, dass es auch ganz anders geht. Wobei ich mich schwer tue, Låt den rätte komma in als Horrorfilm zu bezeichnen. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen zwei Außenseiter: der introvertierte Oskar, der von seinen Schulkameraden gehänselt wird, keine Freunde hat und alleine mit seiner Mutter in einer tristen Mietwohnung haust und der weibliche Vampir Eli, der im Körper einer Zwölfjährigen gefangen und gezwungen ist, sich von menschlichem Blut zu ernähren, obwohl er dies eigentlich verabscheut. Alfredson machte daraus eine faszinierende Geschichte über zwei Seelenverwandte, die außerhalb der Gesellschaft stehen und sich stark zueinander hingezogen fühlen. Der Erzählstil des Schweden ist trocken und schmucklos, nordisch unterkühlt und wirkt stellenweise fast etwas lethargisch. Schon die ersten Einstellungen, die von zahlreichen Close-Ups geprägt sind, vermitteln ein Gefühl der Enge, des Bedrängtseins. Man fühlt sich als Zuschauer irgendwie unfrei und eingesperrt - gefangen in dieser merkwürdigen schneeweißen und dennoch trostlosen Welt, in der nur selten die Sonne scheint.

Die beiden Hauptdarsteller sind einfach großartig, wobei die beim Dreh tatsächlich erst zwölfjährige Lina Leandersson ihren gleichaltrigen männlichen Gegenpart noch übertrifft. Die beiden muss man einfach gerne haben, und man nimmt Eli das Unbehagen durchaus ab, das ihr das Töten eines Menschen zwecks Nahrungsbeschaffung bereitet. Eine große Stärke des Films ist die Tatsache, dass kaum etwas erklärt wird. Anfangs hatte ich erwartet (und ein Stück weit auch gehofft), dass Elis Vergangenheit näher beleuchtet wird, dass aufgelöst wird, wie sie zum Vampir wurde und warum der merkwürdige Geselle ihr geholfen hat, Blut zu besorgen. Glücklicherweise bleibt dies alles im Dunkeln, was die Figur der Vampirin Eli umso rätselhafter wirken lässt. Letzten Endes erfährt man so gut wie nichts über sie.

Die Idee von einer Beziehung zwischen einem Menschen und einem weiblichen Vampir ist natürlich nicht neu, man muss dabei unwillkürlich an Bigelows Near Dark denken, wobei der das Thema natürlich ganz anders anpackt. Und doch ist Låt den rätte komma in ein erfrischend anderer Film, der mich von der ersten bis zur letzten Minute gefesselt hat. Toll!

Freitag, 22. Januar 2016

BONE TOMAHAWK (S. Craig Zahler, 2015)

Ein feiner Genre-Bastard ist das, mit dem der Regisseur aus Florida da seinen Einstand gibt, und ein äußerst blutiger dazu. Was anfängt wie einer der in den letzten Jahren wieder zahlreich produzierten Western, nachdem das Genre jahrelang brach gelegen hatte, erweist sich als gelungene Mischung aus eben jenem und dem Kannibalen-Horror der 70er Jahre. Texas Chainsaw Massacre im Wilden Westen sozusagen. Die Rolle der kannibalistischen Familie nimmt dabei eine Gruppe degenerierten Indianer ein, die fernab der Zivilisation und von anderen Stämmen gemieden in einem Höhlensystem hausen. Bei einem ihrer nächtlichen Ausflüge in die Umgebung entführen Sie die Gattin des aufgrund einer schweren Beinverletzung gehbehinderten Viehhirten Arthur nebst einem der Hilfs-Sheriffs, um sie früher oder später genüsslich zu verspeisen. Arthur begibt sich flugs mit dem alten Sheriff Franklin (Kurt Russell), dem noch älteren Ersatz-Hilfssheriff Chicory sowie dem Indianerhasser John Brooder auf Rettungsmission.

Anhand der kurzen Inhaltsangabe merkt man schon, dass es dem Multitalent Zahler, der seine Brötchen bisher als Autor, Musiker und Kameramann verdient hat, nicht um das Erzählen einer cleveren Geschichte geht. Während des langen Ritts zu den Kannibalen, den die Männer irgendwann zu Fuß fortsetzen müssen, nachdem ihnen die Pferde gestohlen wurden, wird langsam Spannung aufgebaut. Die Situation spitzt sich für die Verfolger immer mehr zu und auch untereinander kommt es zu Streitigkeiten. Seinen Reiz bezieht der Film vor allem durch die Gruppenkonstellation. Vier sehr unterschiedliche und zudem gut ausgearbeitete Charaktere reiten (später: gehen) unter widrigen Umständen durch unbekanntes Terrain und wissen nicht, was sie am Ende der Reise erwartet. Dabei kommt es fast zwangsläufig zu Spannungen, die sich immer wieder in Wortgefechten entladen, ohne dass es zur letzten Eskalation kommt. Die Dialoge sind gut gelungen und zum Teil auch recht witzig. Beispielhaft sei die Szene genannte, in der Brooder die gewagte These aufstellt, er sei der Intelligenteste der Gruppe. Als die anderen das in Zweifel ziehen, belegt er die Aussage damit, dass außer ihm alle anderen verheiratet sind oder waren (Chicory ist Witwer) und schließt mit der Äußerung: Smart men don't get married. Solch entwaffnender Logik haben die anderen nichts entgegenzusetzen.

Obwohl die großen Überraschungen ausbleiben, ist der Fortgang der Handlung nur schwer vorauszusehen. Der Showdown fällt dann recht drastisch aus. In einer ziemlich abstoßenden Szene wird einer der Gefangenen wie ein Schwein geschlachtet und anschließend fachmännisch zerlegt. Und bei den Kämpfen mit den Steinzeit-Indianern müssen auch verschiedene Gliedmaßen dran glauben. Zartbesaitete Gemüter sind hier eindeutig fehl am Platz.

Bone Tomahawk hat mir richtig Spaß gemacht. Die Einbettung des Kannibalismus-Themas in eine klassische Westernhandlung fand ich erfrischend. Die Story strotzt zwar vor Ungereimtheiten und hat weder Hand noch Fuß, doch stört das kein bisschen. Zahler entfaltet die Erzählung mit stoischer Ruhe und unbarmherziger Zielstrebigkeit. Und Kurt Russell sprüht nur so vor Spielfreude und hat sichtlich Spaß an seiner knurrigen Rolle. Ein viel versprechendes Regiedebüt.

Donnerstag, 21. Januar 2016

45 YEARS (Andrew Haigh, 2015)

It's funny how you forget the things in life that make you happy.

Geoffrey und Kate sind seit 45 Jahren verheiratet. Da sie ihren 40. Hochzeitstag wegen Geoffreys Bypass-Operation damals nicht feiern konnten, wollen sie das an ihrem 45. nachholen. Geplant ist eine große Feier in edlem und geschichtsträchtigem Ambiente. Wenige Tage vorher erhält Geoffrey einen Brief aus der Schweiz, der auf deutsch verfasst ist und durch den er erfährt, dass die Leiche seiner vor 50 Jahren tödlich verunglückten damaligen Freundin Tanya, die bei einer Wandertour in den Schweizer Alpen in einen Gletscher gestürzt ist, gefunden wurde. Nach Lektüre des Briefs eröffnet er seiner erstaunten Frau, dass die Behörden dort ihn als Tanyas nächsten Angehörigen betrachten, da die beiden damals vorgaben, verheiratet zu sein. Kate ist zwar erstaunt über diese Enthüllung, geht aber zunächst souverän damit um. Doch als sie merkt, dass Geoffrey die Sache mehr beschäftigt als er zugeben mag, keimen langsam Zweifel in ihr auf und sie fragt sich, wie gut sie ihren Mann nach 45 Jahren Gemeinsamkeit kennt.

Die Geschichte, die 45 Years erzählt, ist an sich undramatisch. Wer am Ende die große Zuspitzung oder spektakuläre Enthüllungen erwartet, wird enttäuscht. Umso faszinierender ist aber das psychologische Spiel, das sich zwischen beiden entfaltet. Kate beginnt, Geoffrey hinterher zu spionieren. Nachdem sie gemerkt hat, dass er nachts heimlich auf dem Dachboden nach alten Fotos von Tanya sucht, nutzt sie seine Abwesenheit, um seine Sachen zu durchsuchen. Dabei macht sie eine überraschende Entdeckung, die ihre Zweifel und ihre Unsicherheit noch weiter verstärken. Was genau Geoffrey umtreibt, erfährt der Zuschauer nicht. Ob es einfach nur die Erinnerungen sind, die in ihm hochkommen oder ob da noch mehr dahinter steckt, bleibt im Unklaren. Doch macht gerade dies den großen Reiz der Geschichte aus. Egal wie lange und wie gut man jemanden zu kennen glaubt: ein Stück weit bleibt der Andere doch ein Fremder.

Die größte Schau bei 45 Years sind natürlich die zwei Hauptdarsteller, Charlotte Rampling und Tom Courtenay. Ihr nuanciertes Spiel gewährt dem Zuschauer einen Einblick in ihr Seelenleben, lässt dabei immer noch genug im Verborgenen. Man kann beide verstehen, ohne sich auf eine Seite ziehen zu lassen. Am Ende hält Geoffrey auf der Feier eine bewegende Rede, die so wirkt, als seien ihm die Worte tatsächlich erst während des Sprechens eingefallen. Dadurch wirkt sie verblüffend ehrlich und echt. Und selbst hier gelingt es dem Film, jeden Anflug von Pathos oder Kitsch zu vermeiden. Obwohl Kate durch die Rede ein Stück weit versöhnt zu sein scheint, merkt man ihr die Verletzung immer noch deutlich an. Man weiß, es wird zwischen den Beiden nie mehr so sein, wie es vorher war. 45 Years ist bewegendes, ehrliches Gefühlskino, wie man es in dieser Qualität und Reinheit nur selten findet.


Freitag, 15. Januar 2016

A FAREWELL TO ARMS (Frank Borzage, 1932)

Bei der Verfilmung des berühmten Hemingway-Romans, in dem der amerikanischen Autor seine persönlichen Erfahrungen im Sanitätsdienst der italienischen Armee verarbeitete, standen die Macher vor der schwierigen Aufgabe, die komplexe Geschichte in einen 90-minütigen Film zu packen. Dazu wurde der Inhalt auf die Beziehung zwischen dem amerikanischen Sanitätsoffizier in Diensten der italienischen Armee, Frederic, und der britischen Krankenschwester Catherine eingedampft. Der erste Weltkrieg dient zwar als Hintergrund, doch gerade die bei Hemingway so gelungene Mischung aus Kriegsdrama und Romanze wird hier zulasten einer romantischen Schnulze aufgegeben. Die zum Teil schwülstigen Dialoge tun das ihrige und machen A Farewell to Arms zu einem stellenweise recht zähen Stück Zelluloid. Auch darstellerisch ist das alles andere als herausragend. So fällt es schwer, Gary Cooper die Rolle des Sanitäters abzunehmen, der der Krankenschwester, verkörpert durch die spröde Helen Hayes, auf Gedeih und Verderb verfällt und aus Sorge um sie sogar von der Truppe desertiert. Dies markiert auch einen wesentlichen Unterschied zur literarischen Vorlage, die ich erst vor wenigen Monaten gelesen habe. Dort sind es unglückliche Umstände, die Frederic zum anfangs eher unfreiwilligen Deserteur machen, dem dann, nachdem die italienische Armee ihn als solchen gebrandmarkt hat, nichts anderes übrig bleibt als die Flucht nach vorne anzutreten. Im Film hingegen verlässt er die Truppe, weil er keine Post von seiner Geliebten erhält, da diese von seinem besten Freund aus fehlgeleitetem Beschützerinstinkt abgefangen und zurückgesandt wurde.

Der pflichtbewusste Soldat der Romanvorlage, der von persönlichen Rückschlägen wie Verletzungen, ausbleibenden militärischen Erfolgen und der sinkenden Moral der Truppe allmählich zermürbt wird, wird durch einen liebestollen Deppen ersetzt, der am liebsten jede freie Minute mit seiner Angebeteten verbringen möchte. Darüber hinaus bleibt Frederics Charakter im Film erstaunlich blass. Im Grunde genommen erfährt man gar nichts über ihn, außer dass er eine Vorliebe für Alkohol hat. Befremdlich auch, dass er trotz mehrerer Standortwechsel immer von denselben Personen umgeben zu sein scheint, die aus unerfindlichen Gründen stets dort auftauchen, wo er auch ist.

Eine positive Erwähnung verdient die gute Kameraarbeit von Charles Lang. Die stimmungsvoll ausgeleuchteten Schwarzweiß-Bilder wissen zu gefallen. Besonders schön ist die Szene im Verhau eingefangen, in dem mehrere Soldaten eine Mahlzeit einnehmen, während um sie herum die Mörsergeschosse einschlagen. Und die längere Einstellung aus der Ich-Perspektive im Lazarett ist für die damalige Zeit zumindest ungewöhnlich. Dies kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass A Farewell to Arms letztlich ein belangloser Film ist, der zwar mäßig unterhält, seiner literarischen Vorlage jedoch in keiner Weise gerecht wird. Da ist es wenig verwunderlich, dass Hemingway sich von dem Ergebnis wenig begeistert zeigte.

THE FOUR FEATHERS (Zoltan Korda, 1939)

I am a coward, Doctor.

Kordas Verfilmung des gleichnamigen Romans von  A. E. W. Mason war bereits die vierte Umsetzung des Stoffes in bewegte Bilder. Seither sind noch drei weitere dazugekommen, die letzte datiert aus dem Jahr 2002 mit Heath Ledger in der Hauptrolle. Da ich keine der anderen Versionen kenne, stand einem unbelasteten Sehvergnügen nichts im Wege. Und ein Vergnügen war es tatsächlich. In schönstem Technicolor entfaltet der ungarische Regisseur die Geschichte um die Soldatenehre und männliche Tugenden. Geprägt durch die heroischen Erzählungen der Kriegskameraden seines Vaters wird dem jungen Harry von Kind auf eingetrichtert, dass Feigheit vor dem Feind ein unverzeihliches Vergehen ist. Dennoch kneift er als er erfährt, dass seine Kompanie am nächsten Tag in Richtung Ägypten ausrücken soll und reicht seinen Rücktritt ein. Dies bringt ihm nicht nur die tiefe Verachtung seiner drei engsten Freunde und Kameraden ein, die ihm jeweils eine weiße Feder zukommen lassen, sondern zu seiner Überraschung auch die seiner Verlobten, die sich ebenfalls von ihm abwendet. Harry erkennt, dass er einen schweren Fehler begangen hat und beschließt, sich als Einheimischer getarnt auf eigene Faust nach Ägypten aufzumachen, um seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen und seinen Freunden die weißen Federn zurückzugeben.

The Four Feathers bietet prachtvolles Ausstattungskino in seiner besten Form. Es gibt große Schlachten und Massenszenen mit hunderten von Statisten, Kamelen und Pferden. Gedreht wurde an Originalschauplätzen, was eine ganze Reihe beeindruckender Landschaftsaufnahmen zur Folge hat. Filme mit Bezug zur Kolonialzeit haben mich seit jeher begeistert und auch The Four Feathers bildet keine Ausnahme.

Etwas erstaunlich aus heutiger Sicht ist, dass die dem Film zugrundeliegende Geschichte die Menschen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts anscheinend so fasziniert hat, dass sie in diesem Zeitraum auf eine rekordverdächtige Anzahl von vier Verfilmungen kommt. Mir ist jedenfalls keine andere Vorlage bekannt, die es auf derart viele Umsetzungen bereits vor dem 2. Weltkrieg gebracht hat. Das Leben damals - zwischen den beiden großen Kriegen - war natürlich weitaus stärker vom Militär geprägt als das heute der Fall ist. Das gilt umso mehr für das 19. Jahrhundert, in dem die Handlung angesiedelt ist. Die gesellschaftliche Ächtung eines Soldaten, der einer kriegerischen Auseinandersetzung aus dem Weg geht, ist heutzutage undenkbar, wo es längst Usus ist, vor Problemen wegzulaufen statt sich ihnen zu stellen oder aber nach fremder Hilfe zu rufen - gerade zigtausendfach in den Krisengebieten der Welt zu beobachten. Harry hingegen setzt alles aufs Spiel, um sich zu rehabilitieren. Dafür scheut er weder Hunger noch Durst oder körperliche Schmerzen. Sein stolzer Blick, als der arabische Arzt ihn für seinen Mut lobt, nachdem er sich von diesem das Brandmal auf die Stirn hat setzen lassen, um als einheimischer Sangali durchzugehen, sagt alles.

Während seiner abenteuerlichen Reise entwickelt er beinahe übermenschliche Fähigkeiten. Alles scheint ihm zu gelingen. Und so wird am Ende aus dem feigen Drückeberger der allseits umjubelte Held, der seinen drei Freunden das Leben rettet und auch das Herz seiner Verlobten wiedergewinnen kann. Und ganz nebenbei kann er auch die Heldengeschichte seines angehenden Schwiegervaters, die dieser bei jeder Gelegenheit zum besten gibt, als maßlose Übertreibung entlarven. Ein Sieg auf der ganzen Linie also.

Dienstag, 12. Januar 2016

JERSEY BOYS (Clint Eastwood, 2014)

Routiniert gefertigtes Biopic von der Stange ohne besondere Stärken oder Schwächen. Eastwoods Alterswerk, wenn ich es mal so nennen darf, ist ja von beachtlicher Qualität. Zwischen einigen wirklich herausragenden Filmen finden sich dabei auch regelmäßig Arbeiten, bei denen mir zuallererst das Wort "routiniert" in den Sinn kommt. Jersey Boys ist so ein Beispiel dafür. Es gibt wenig, was man dem Film vorwerfen kann. Die Inszenierung ist schnörkellos und gefällig, die Sets sind gelungen, die Atmosphäre der jeweiligen Dekaden wurde gekonnt eingefangen. Der Score besteht natürlich zu einem Großteil aus Songs der Four Seasons. Darstellerisch wird Solides geboten,  wobei Christopher Walken ein paar Akzente setzen kann.

Seine stärksten Momente hat Jersey Boys gleich zu Beginn, wenn die Anfänge der Four Seasons gezeigt werden, wobei die Band zunächst unter anderen Namen auftrat. Wie sich der Herumtreiber und Kleinganove Tommy mit Einbrüchen und Diebstählen über Wasser hält und dabei seinen jüngeren Freund Frankie, der ihn immer eine Art älterer Bruder sieht, in die Bredouille bringt - sehr zum Missfallen von dessen Eltern. Gelegentliche Knastaufenthalte gehören beinahe zum guten Tom im Viertel, wobei Frankie dank seines jugendlichen Alters und teils auch glücklicher Fügung davon verschont bleibt. Beide unterhalten zudem ein gutes Verhältnis zum örtlichen Paten Gyp, der von Christopher Walken als liebenswürdiger älterer Herr porträtiert wird und insbesondere Frankie in sein Herz geschlossen hat. Die Ereignisse werden als lose Sammlung in einer heiteren und beschwingten Stimmung erzählt, die die anfängliche Orientierungslosigkeit der jungen Männer - sowohl was die musikalische Ausrichtung als auch den eigenen Lebensentwurf angeht - trefflich einfängt. Im weiteren Verlauf zeigt sich,  dass der draufgängerische Tommy diese Phase im Grunde genommen nie hinter sich lassen konnte.

Leider kann Jersey Boys dieses Niveau nicht über die gesamte Spielzeit halten. Die weitere Entwicklung der Band wird in episodenhafter Erzählweise abgehandelt. Mit dem Älterwerden der Bandmitglieder werden auch die Probleme größer. Einige davon werden kurz angerissen und treten relativ schnell wieder in den Hintergrund. Die Auswahl wirkt willkürlich und folgt keinem klaren Muster. Selbst Frankies Ehekrise, der Trinksucht seiner Frau und der daraus und aus seiner häufigen Abwesenheit resultierenden problematischen Beziehung zu seiner Tochter Francine wird nur wenig Platz eingeräumt. Dramatischer Höhepunkt ist dann später Francines Drogentod, doch auch der wird in wenigen Szenen abgefrühstückt gemäß dem Motto: The show must go on. Diese Vorgehensweise ist sicherlich auch der beachtlichern Zeitspanne geschuldet, die der Film umfasst, von den Anfängen in den 50er Jahren bis hin zum letzten Auftritt der Band im Jahr 1990 anlässlich der Aufnahme in die Hall of Fame. Eastwood zeichnet zwar ein umfassendes Bild, doch bleiben viele interessante Details auf der Strecke. Und so ist Jersey Boys am Ende nicht mehr als ein routiniert heruntergedrehter Film, dem das emotionale Zentrum abgeht. Ich scheue die Verwendung des Begriffes "seelenlos", doch konnte ich für keinen der Protagonisten echte Empathie empfinden. Wenn Eastwood für das Projekt ein leidenschaftliches Interesse verspürt haben sollte, merkt man das dem fertigen Produkt nicht an. Vielleicht liegt es daran, dass sein Herz doch mehr für den Jazz schlägt. Sehenswert ist Jersey Boys aufgrund seiner eingangs erwähnten Qualitäten natürlich trotzdem, wie nahezu alles, was Eastwood in den letzten 45 Jahren gemacht hat.

Freitag, 8. Januar 2016

IT FOLLOWS (David Robert Mitchell, 2014)

Ich schaue ja nur noch ganz selten Horrorfilme, obwohl ich das Genre grundsätzlich sehr gerne mag. Der Grund liegt in der schwachen Qualität der meisten Vertreter und ihrer Vorhersehbarkeit. Und wenn dann doch mal ein Film vielversprechend beginnt oder eine spannende Idee präsentiert, geht ihm häufig irgendwann die Puste aus. Genau so ein Vertreter ist It follows auch. Die Grundidee ist durchaus originell, nämlich dass man von einem Wesen mit Tötungsabsicht verfolgt wird und sich dieses Fluchs nur durch "Weitergabe" mittels Geschlechtsverkehr entledigen kann. Jedoch nur solange der Träger am Leben ist. Nach dessen Tod kehrt das Wesen automatisch zum Vorbesitzer zurück. Es genügt also nicht, mit irgendjemand Sex zu haben, sondern es sollte auch jemand sein, der sich möglichst lange gegen das Wesen verteidigen oder aber den Fluch seinerseits weitergeben kann.

Die infizierte Jay kann gleich auf zwei Helden zurückgreifen, die ihr Hilfe anbieten: der draufgängerische Greg und ihr alter Jugendfreund, der schüchterne Paul, mit dem sie auch den ersten Kuss teilte. Gemäß den Genre-Regeln, dass die Protagonistin immer die falsche Entscheidung trifft, entscheidet sie sich zuerst für Greg. Dem Zuschauer ist natürlich sofort klar, dass das nicht gutgehen kann, da Greg nicht an das Wesen glaubt und daher nicht die nötige Vorsicht walten lässt. Dadurch ist er ein leichtes Opfer. Nur Jay erkennt das nicht. Im Gegensatz dazu glaubt Paul an die Existenz des Wesens, da er bei einem Gerangel von ihm verletzt wurde. Der fährt dann auch prompt auf den Autostrich, um eine Nutte zu infizieren und dadurch Zeit zu gewinnen. Das klingt jetzt alles nicht sonderlich spannend, und spannend ist It follows tatsächlich nur zu Beginn. Die ersten zwei oder drei Begegnungen mit der Kreatur haben noch etwas Unheimliches, doch der Effekt nutzt sich schnell ab. Spätestens nach der halben Spielzeit fällt den Machern dann nichts mehr ein und die Szenarios wiederholen sich. Zudem ändert sich das Aussehen des Wesens ständig, was seine Wirkung zusätzlich schmälert. Wenn man darin eine tiefere Bedeutung suchen möchte, kann man das Ändern des Aussehens natürlich auch als Sinnbild für die verschiedenen Ängste Jays lesen, wie beispielsweise Angst vor dem Vater. Muss man aber nicht. Nach einer Stunde war ich dann so gelangweilt, dass ich am liebsten ausgeschaltet hätte, aber die Hoffnung auf einen gelungenen Plottwist oder zumindest eine originelle Idee ließ mich durchhalten. Doch die Hoffnung war vergebens. Irgendwann war der Film aus, ohne dass noch etwas Aufregendes passiert wäre. Schlimmer noch: Jay und ihre Freunde beschließen, das Wesen in eine Falle zu locken, um es zu töten. Die Vorgehensweise dabei ist schon recht bizarr und erinnert eher an die Planung von Grundschulkindern als die erwachsener Menschen.

Letztlich schade um die gute Idee, aber unter dem Strich ist It follows nur ein weiteres belangloses Horrorfilmchen, das allenfalls für ein oder zwei gelungene Schockeffekte gut ist. Für einen 100-minütigen Film ist das arg wenig.

Jahresrückblick 2015

Mein Jahresrückblick fällt recht kurz aus, da die Zahl der gesichteten Filme sich bescheiden ausnimmt. Immerhin kann ich eine leichte Steigerung gegenüber dem Vorjahr vermelden. Kam ich 2014 auf etwa 70 Filme, waren es in den letzten zwölf Monaten immerhin knapp 90. Da ich nur selten ins Kino gehe (2015 viermal) und Filme meist auf Bluray sichte, habe ich im vergangenen Jahr auch viele Filme aus 2014 gesehen, die erst später veröffentlicht wurden. Filme nach Punkten oder Noten zu beurteilen, habe ich mir schon vor vielen Jahren abgewöhnt. Daher gibt es weiter unten nur eine Übersicht der in den letzten zwölf Monaten gesichteten Filme der Jahre 2014/2015, grob unterteilt in vier Kategorien. Die meisten davon haben mein Wohlgefallen gefunden, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass ich Genres, die mir nicht liegen (klassische Komödien, Comic-Verfilmungen, etc.), meist komplett meide. Doch auch hier gibt es Ausnahmen.

Das vergangene Jahr sah eine Wiederbelebung zweier brachliegender und von mir sehr geschätzter Filmreihen. Mit Jurassic World wurde die Dino-Reihe reanimiert und The Force awakens bildete die lang ersehnte Fortsetzung der Star-Wars-Saga. Beide Filme habe ich natürlich im Kino gesehen, und obwohl es einige Parallelen gibt, ist die Qualität sehr unterschiedlich. In beiden Fällen wählte man die sichere Variante, indem man zahlreiche Story-Elemente aus den jeweiligen Startfilmen wiederverwendete. Während Jurassic World zur Pflichtübung geriet, gelang es bei The Force awakens die Magie der Klassiker Star Wars und The Empire strikes back erneut zu entfachen. Demzufolge stellt The Force awakens für mich - wenig überraschend - den Höhepunkt des Filmjahres 2015 dar. Der Titel für den besten Film, den ich letztes Jahr gesehen habe, geht jedoch an Dan Gilroys Nightcrawler, der aus dem Jahr 2014 stammt. Kein anderer Film hat mich  in den letzten zwölf Monaten derart beeindruckt wie diese bitterböse Satire mit einem Jacke Gyllenhaal in Höchstform. Die Gurke des Jahres ist ohne Frage Terminator Genisys, von dem ich mir zwar keine Wunder, zumindest aber solide Unterhaltung  versprochen hatte, doch nicht einmal die konnte dieser Murksfilm liefern.

Für das neue Jahr plane ich, meine Rückstände bei den älteren Filmen etwas aufzuarbeiten. Zahlreiche ungesehene Streifen liegen hier noch herum, darunter auch einige Klassiker. Mit besonderer Vorfreude sehe ich dem neuen Tarantino-Film, The hateful Eight, entgegen, der in diesen Tagen anläuft und hoffentlich eine Rückkehr zu alter Form bedeutet, nachdem mich Inglourious Basterds und Django unchained nur bedingt begeistern konnten. Der Cast klingt schon mal vielversprechend.

Hier nun die angekündigte Liste:

magisch:
Nightcrawler
Star Wars: The Force awakens

toll:
American Sniper
Birdman
Blackhat
Calvary
Chappie
Ex Machina
Interstellar
Mad Max: Fury Road
The Hobbit: The Battle of the five Armies
The Rover
Whiplash

unterhaltsam:
A most wanted Man
Autómata
Big Eyes
Das finstere Tal
Dracula untold
Everly
Exodus: Gods and Kings
Fack ju Göhte 2
In the Blood
Inherent Vice
Jurassic World
Lost River
Maggie
Mercenaries
Sicario
Sin City: A Dame to kill for
Southpaw
The Gunman
The Raid 2
The Water Diviner

nicht so toll:
Edge of Tomorrow
It follows (Text folgt)
Lucy
Terminator Genisys

Donnerstag, 7. Januar 2016

SOUTHPAW ( Antoine Fuqua, 2015)

I'm a fucking mess.  
Southpaw kommt im Gewand eines Boxerfilms daher, ist aber in Wahrheit ein Familiendrama. Den Kern der Erzählung bildet eine Vater-Tochter-Geschichte.

Der Box-Weltmeister Billy Hope erfährt einen tiefen Absturz, als seine Frau Maureen, die im selben Waisenhaus aufgewachsen ist wie er und mit der er seit Teenagertagen liiert ist, bei einem Handgemenge getötet wird, das er nach einer Provokation durch einen seiner Widersacher angezettelt hat. Hope ist zwar ein großartiger Boxer, der vor allem aufgrund seiner unbändigen Aggression seit mehr als 40 Kämpfen ungeschlagen ist, doch ist er im Alltag auf die Führung und Unterstützung seiner Frau angewiesen, die ihm seit Jahren alle Entscheidungen abgenommen hat. Als dieser Fixpunkt wegfällt, stürzt er ins Bodenlose und verliert alles: sein Geld, seinen Weltmeistertitel, seine Boxlizenz, sein Haus und schließlich auch seine Tochter, die unter staatliche Fürsorge gestellt wird, nachdem er durch diverse Alkohol- und Drogeneskapaden auffällig geworden ist. Da seine Tochter das Letzte von Bedeutung in seinem Leben ist, setzt er alles daran sie wiederzukommen. 

Antoine Fuqua ist als solider Handwerker bekannt, nicht als Visionär. Bei ihm weiß man stets, was man bekommt. So auch hier: der Plot ist komplett vorhersehbar, es werden sowohl auf der narrativen Ebene als auch hinsichtlich der Charaktere alle nur denkbaren Klischees bemüht. Die Geschichte wurde in ähnlicher Form schon hundert Mal erzählt. Der Überraschungsfaktor liegt also bei null. Selbst der Name des Protagonisten, Billy Hope, ist ein sprechender. Und doch ist Southpaw ein sehenswerter Film, denn über die vorstehend genannten Punkte hinaus gibt es wenig, was man ihm ankreiden kann. Kameraführung und Schnitt sind makellos, die Kämpfe gut choreografiert, der Score (eine der letzten Arbeiten des im vergangenen Jahr tödlich verunglückten Komponisten James Horner, dem der Film auch gewidmet ist) kann überzeugen und die Atmosphäre ist dicht und packend. Das größte Plus aber ist zweifelsohne Jacke Gyllenhaal, der den Film mit einer bärenstarken Leistung äußerst souverän über die zwei Stunden trägt. Der US-Amerikaner hat sich für meine Begriffe in den letzten Jahren zu einem der weltbesten Darsteller gemausert und verkörpert den zu Ruhm gekommenen Straßenkämpfer mit beängstigender Intensität. Hopes ungezügeltes Temperament und seine Unfähigkeit, seine Aggressionen zu kontrollieren, machen ihn einerseits zu einem herausragenden Boxer, sind andererseits aber auch mitverantwortlich für den Tod seiner Frau und seinen darauf folgenden Totalabsturz. Hätte er sich nicht provozieren lassen, wäre er mit seiner Frau einfach nach Hause gefahren - nichts wäre passiert. Und obwohl er das weiß, gelingt es ihm nur mühsam und mit externer Hilfe, seine Aggression in den Griff zu bekommen. Sein Antrieb ist dabei keineswegs die eigene Einsicht sondern vielmehr die Aussicht, das Sorgerecht für seine Tochter zurückzubekommen.

Fuqua macht daraus einen klassischen Dreiakter: im ersten Film Drittel sieht man Hope obenauf und noch im Genuss ungetrübten Familienglücks, im zweiten Drittel wird sein Absturz ausführlich thematisiert bevor er sich schließlich im letzten Drittel wie Phönix aus der Asche erhebt. Dass das alles trotzdem nicht nur spannend und unterhaltsam sondern auch emotional packend ist, liegt an den oben beschriebenen Qualitäten und ein Stück weit vielleicht auch an der Erwartungshaltung, mit der man einem Fuqua-Film gegenüber hat. Diese jedenfalls wird in vollem Umfang erfüllt.

Montag, 4. Januar 2016

STAR WARS: EPISODE VII - THE FORCE AWAKENS (J. J. Abrams, 2015)

Chewie, we're home. 

Zwei Wochen nach Kinostart habe ich es nun endlich auch geschafft. Irgendwie war ich mit meiner Platzreservierung immer zu spät, und da ich kein 3D mag, war es trotz der vielen Vorstellungen schwierig, einen vernünftigen Platz zu bekommen. Ich habe mich im Vorfeld bewusst nicht mit dem Film beschäftigt, keine Trailer geschaut und keine Kritiken gelesen, um ihn möglichst unvoreingenommen aufzunehmen (die ein oder andere euphorische Reaktion aus dem Bekanntenkreis habe ich natürlich trotzdem mitbekommen). 

Der Kinobesuch hinterließ dann bei mir in erster Linie Begeisterung, unter die sich allerdings mit einigen Tagen Abstand auch etwas Enttäuschung mischte. Doch zuerst zu den positiven Aspekten. Es ist J. J. Abrams ganz ohne Zweifel gelungen, den Geist der Original-Trilogie einzufangen. Episode 7 sieht so aus, als sei er wenige Jahre nach Return of the Jedi entstanden und nicht mehr als dreißig Jahre später. Er zeigt dasselbe Universum, in dem immer alles staubbedeckt und irgendwie angegammelt zu sein scheint - eine Welt, die so ganz anders aussieht als die auf Hochglanz polierten CGI-Bilder der letzten drei Filme. Ich zähle zu den wenigen Freunden der Original-Trilogie, die auch jenen Filmen positive Seiten abgewinnen können, insbesondere Episode I, doch der massive CGI-Einsatz und der extrem digitale Look haben mich seit jeher gestört. Von dem unsäglichen Hayden Christensen ganz zu schweigen. Aber zurück zu The Force awakens: Die Kämpfe und Actionszenen wirken wieder weitaus realistischer, die Sets bodenständiger und die Patina-überzogenen Raumschiffe vermitteln das Gefühl, tatsächlich einem Weltraum-Märchen beizuwohnen, das sich gemäß dem zu Beginn eingeblendeten Text vor langer Zeit ereignet hat, ungeachtet der gewaltigen technischen Weiterentwicklung im Vergleich mit den heutigen Möglichkeiten (auf der Erde). Zudem gelang es, die Darsteller der tragenden Figuren der Original-Trilogie, soweit diese Episode VI überlebt haben, zu verpflichten und so weitere Bezugspunkte zu schaffen. Wenn dort Han Solo und Chewbacca umherlaufen und der Millenium Falcon in den Hyperraum startet, fühlt sich das viel mehr nach Star Wars an als Ewan McGregor und Hayden Christensen zuzuschauen. Und mit der Figur der Schrottsammlerin Rey gelang es eine ebenso interessante wie mysteriöse Protagonistin zu etablieren, die zudem noch sehr ansprechend aussieht.

Auch darüber hinaus wimmelt es an Anspielungen und Reminiszenzen an die Ur-Trilogie, sei es das Setting des Wüstenplaneten Jakku, das frappierende Ähnlichkeit mit dem von Tatooine aufweist, die Figuren in der Bar auf Takodana, von denen viele schon in früheren Filmen zum Einsatz kamen oder - besonders gelungen - der abgestürzte Sternenzerstörer, der im Wüstensand von Jakku verrottet. Das geht so weit, dass ganze Handlungsstränge (teils leicht abgewandelt) übernommen wurden, wie das Verstecken einer wichtigen Information in einem Droiden, die Flucht im Millenium Falcon vor den Truppen der Ersten Ordnung, die misslungene Ausbildung eines Jedi-Jüngers, der daraufhin zur dunklen Seite der Macht überläuft oder der Bau eines neuen Todessterns (hier als Starkiller bezeichnet) und dessen Zerstörung durch den Widerstand. Dies ließe sich noch beliebig fortsetzen und lässt The Force awakens fast wie ein Remake des ursprünglichen Star Wars erscheinen, womit ich langsam zu den Punkten komme, die zumindest eine Spur von Enttäuschung bei mir zurückließen. Echte Neuerungen gibt es kaum, durch die zahlreichen Anspielungen hat man viele Deja-Vu-Erlebnisse, die zwar die Identifikation erleichtern und dazu gedacht sind, die "alten" Fans zwischen 35 und 50 Jahren zu ködern. Doch bergen sie auch das Gefühl der Redundanz. Echte Überraschungen gibt es so gut wie keine, abgesehen von der sehr gelungenen Szene mit Han Solo und Kylo Ren. Hier ging man für meinen Geschmack zu sehr auf Nummer sicher und scheute ganz offensichtlich das Risiko, die "alten" Fans zu verprellen. Wenn man böse sein wollte, könnte man dies auch einfallslos nennen. Der Gipfel in dieser Hinsicht ist der nunmehr dritte Angriff auf einen Todesstern und dessen Zerstörung, wobei die Deaktivierung der Verteidigungssysteme hier besonders unglaubwürdig gelöst ist: eine der Ersten Ordnung treu ergebende Offizierin wird unter an den Kopf gehaltener Waffe dazu gezwungen, alle Systeme abzuschalten. Und auch die Figur des Kylo Ren, die einen Darth-Vader-Ersatz darstellen soll, ist nur bedingt gelungen. Gleich mehrfach muss der Böse seine Maske abnehmen und dabei sein wenig furchteinflößendes Antlitz offenbaren, wobei man sich fragt, warum er überhaupt eine Maske trägt. Während dies bei Vader aufgrund der verbrannten Lunge und der damit verbundenen Notwendigkeit, eine Beatmungsmaschine zu tragen, erklärt wurde, wirkt es hier wie ein Mode-Gag.

Dies alles konnte meinen Filmgenuss dennoch nur unwesentlich schmälern. Die positiven Aspekte überwiegen bei Weitem. Die Inszenierung ist jederzeit auf der Höhe des Geschehens, die Effekte sind sensationell und wirken dabei trotzdem handgemacht, der Look des Films ist schlichtweg phantastisch und John Williams Score über jeden Zweifel erhaben. Vor allem aber konnte The Force awakens bei mir nahezu den gleichen Zauber entfachen wie The Empire strikes back anno 1980 (als Star Wars im Kino lief, war ich noch zu klein). Für 135 Minuten fühlte ich mich ein Stück weit wieder so als sei ich zehn Jahre alt. Und alleine dafür bin ich den Machern dankbar.