Samstag, 29. April 2017

ELLE (Paul Verhoeven, 2016)

Der Niederländer Paul Verhoeven, der zu meinen Lieblingsregisseuren zählt, hat sich in den letzten Jahren rar gemacht, was einerseits auf zahlreiche Probleme bei der Realisierung seiner geplanten Projekte zurückzuführen ist, nicht zuletzt vermutlich aber auch mit seinem fortgeschrittenen Lebensalter zusammenhängt. Elle ist erst sein dritter Film in den letzten 15 Jahren, wobei ich den experimentellen Steekspel aus Furcht vor einer Enttäuschung immer noch nicht gesehen habe. 

Die Handlung - erfolgreiche Unternehmerin wird von einem maskierten Eindringling vergewaltigt und versucht auf eigene Faust den Täter zu ermitteln - lässt zunächst einen klassischen Thriller vermuten. Doch wer Verhoeven kennt, der weiß natürlich, dass ihn bloßer Nervenkitzel nicht interessiert. Und so entpuppt sich Elle schon bald als komplexe Studie über eine willensstarke Frau, die es aufgrund ihrer traumatischen Kindheit gewohnt ist, Probleme selbst zu lösen, statt auf die Hilfe Dritter, wie beispielsweise der Polizei zu vertrauen. Obwohl Michèle in ihrem Alltag mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert ist und ihr Leben zum Teil etwas chaotisch verläuft, vermittelt sie durch ihre burschikose Art zumindest oberflächlich das Gefühl, jederzeit alles unter Kontrolle zu haben.  Da ist die heimliche Liebesaffäre mit dem Partner ihrer besten Freundin, die neue Freundin ihres Ex-Mannes, an dem sie noch immer hängt, ihr unreifer Sohn, der Vater wird und sich gegenüber seiner Freundin nicht behaupten kann, ihre psychopathische Mutter, die ihren jungen Liebhaber heiraten will, der gutaussehende Nachbar, bei dem ihre Avancen nicht recht zu verfangen scheinen, ihr aufmüpfiger Mitarbeiter, der vor versammelter Belegschaft die Auseinandersetzung mit ihr sucht, usw. Das alles steht unter dem dunklen Schatten der Vergangenheit: das ungeklärte Verhältnis zu ihrem Vater, der vor 40 Jahren in einem Amoklauf 27 Menschen tötete und seither im Gefängnis sitzt, ohne dass sie ihn jemals besucht hat.

Wie der Filmtitel ("elle" ist das französische Wort für "sie") schon vorgibt, konzentriert Verhoeven sich ganz auf seine Protagonistin. Es gibt kaum eine Szene ohne sie, sie ist die zentrale Figur, die all die kleinen Geschichten zusammenführt. Isabelle Huppert sieht nicht nur toll aus, sondern glänzt zudem mit einer der besten Vorstellungen ihrer Karriere und verleiht der Figur der Michèle eine faszinierende Persönlichkeit.

Eine der größten Stärken von Elle ist es, dass die Handlung nie vorhersehbar ist. Die Erwartungshaltung des Zuschauers wird konsequent unterlaufen und man weiß nie, was als nächstes geschieht. Michèle trägt fraglos psychopathische Züge und ihre Handlungen wirken nicht immer rational. Am Ende schafft sie es jedoch, alle Probleme zu lösen und sich Stück für Stück selbst zu befreien, wobei dies teils ihrer Initiative, teils auch nur den Umständen zuzuschreiben ist. So erhängt sich ihr Vater in seiner Zelle kurz nachdem er erfahren hat, dass sie ihn zum ersten Mal besuchen will, und löst damit den inneren Konflikt Michèles, der sie über all die Jahre belastet hat. Am Ende hat sie ein gutes Stück mehr Ordnung in ihr Leben gebracht, und selbst ihren Vergewaltiger ist sie in der ihr eigenen Art losgeworden. Emanzipation der etwas andere Art.

Mit Elle meldet sich Paul Verhoeven auf höchst eindrucksvolle Weise zurück. Das sahen auch die Kritiker so, die den Film gleich mit einer ganzen Reihe von Preisen überschütteten. Bleibt zu hoffen, dass sich der Niederländer bis zu seinem nächsten Film nicht ganz so viel Zeit lässt. 

Sonntag, 23. April 2017

WATERLOO ( Sergey Bondarchuk, 1970)

Give me night or give me Blücher!

Wie der Filmtitel schon erahnen lässt, stellt Waterloo die Herrschaft der hundert Tage in den Mittelpunkt der Erzählung und insbesondere natürlich die berühmte Schlacht, die die endgültige Niederlage Napoleons bedeutete. Die Handlung beginnt mit der Abdankung des Kaisers und der anschließenden Verbannung nach Elba. Napoleons Flucht und seine Machtergreifung werden relativ zügig abgehandelt, bevor dann die Vorbereitung für die große Schlacht in den Mittelpunkt rückt.

Die Regie hat seinerzeit der Russe Sergey Bondarchuk übernommen, den man vor allem mit der filmischen Umsetzung des Tolstoi-Romans Krieg und Frieden in Verbindung bringt. Waterloo inszenierte er in der Art eines Schachspiels, in dem sich die begnadeten Strategen Napoleon und der Duke of Wellington gegenüber stehen, darauf lauernd, dass der jeweils andere einen Fehler macht. Dabei gewährt er dem Zuschauer auch immer wieder Einblicke in die Gedankenwelt der Protagonisten, indem er sie aus dem Off sagen lässt, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Insbesondere der Franzose ist voller Selbstzweifel - ungeachtet seines siegessicher Auftretens seinen Leuten gegenüber - und zudem von heftigen Magenschmerzen geplagt, die es ihm zeitweise unmöglich machen, die Befehlsgewalt über die Truppen auszuüben. Doch auch Wellington ist keineswegs so siegesgewiss wie er nach außen tut, denn ihm ist auch klar, dass Sieg oder Niederlage nicht zuletzt davon abhängen, ob die preußische Armee unter Blüchers Führung rechtzeitig eintreffen wird. Es gelingt dem Film insgesamt recht gut, die herausragenden strategischen Fähigkeiten der Protagonisten herauszustellen, ohne sie dabei zu übergroßen Helden zu stilisieren.

Das Beindruckendste an Waterloo aber sind zweifellos die überwältigenden Massenszenen mit teils Zehntausenden von Statisten. Für die Dreharbeiten konnte Bondarchuk auf mehr als 15.000 sowjetische Soldaten zurückgreifen. Um das Schlachtfeld realistisch zu gestalten, wurde ein immenser Aufwand betrieben und umfangreiche Umgestaltungen der Landschaft vorgenommen. Das Ergebnis ist geradezu atemberaubend. Ich habe es an anderer Stelle schon mehrfach gesagt: egal, wie perfekt die heutzutage eingesetzten CGI sind und wie weit der technologische Fortschritt Filmemacher in die Lage versetzt, Massenszenen am Computer entstehen zu lassen: eine Schlacht mit mehreren tausend echten Menschen und lebenden Pferden ist etwas völlig anderes. Und Waterloo schöpft hier wirklich aus dem Vollen. Man ergötzt sich als Zuschauer einfach an der schieren Masse der Soldaten und bekommt ein realistisches Gefühl dafür, wie derartige Schlachten tatsächlich abgelaufen sind.

Inwieweit die Abläufe in den Details den tatsächlichen Vorkommnissen entsprechen, ist umstritten und im Übrigen für den FIlm völlig unerheblich. Einen wichtigen Beitrag zum Gelingen liefern auch die beiden Hauptdarsteller Rod Steiger und Christopher Plummer, die beide in ihren Rollen vollauf überzeugen können. Insbesondere Steiger begeistert mit einer charismatischen Performance als zwischen Größenwahn und Selbstzweifeln hin- und hergerissener Anführer, der sich innerlich bewusst ist, dass er seinen Zenit längst überschritten hat.




Freitag, 21. April 2017

THE MAGNIFICENT SEVEN (Antoine Fuqua, 2016)

I've always wanted to blow something up.

Ich bin kein Freund von Remakes, war aber dennoch gespannt, wie Fuqua seine Neuinterpretation des Sturges-Klassikers angehen würde, der seinerseits wie allseits bekannt von Kurosawas Shichinin no samurai inspiriert wurde. Erwartungsgemäß nimmt er sich recht große Freiheiten, was die Figurenzeichnung und ihre Motive angeht. Derlei Ansätze begrüße ich bei Remakes oder Neuverfilmungen grundsätzlich, denn einen Film 1:1 nachzuerzählen, schafft in den seltensten Fällen einen Mehrwert. Selbst die Grundkonstellation ist etwas anders als bei Sturges. Während dort mexikanische Bewohner eines Dorfes von Banditen drangsaliert werden, ist es hier der böse Kapitalist Bartholomew Bogue, der ein Dorf in Minnesota terrorisiert und die Bewohner dazu zwingt, unter miserablen Bedingungen und gegen einen Hungerlohn in seinen Goldminen zu arbeiten. Das Proletariat erhebt sich schließlich, und um nur ja kein Klischee auszulassen ist es natürlich eine tapfere Witwe, die den von persönlichen Rachemotiven getriebenen Kopfgeldjäger Sam Chisolm anheuert. Dieser stellt flugs eine bunt gemischte Multi-Kulti-Truppe zusammen, in der nahezu alle Kulturen vertreten sind, deren Auftauchen im Wilden Westen anno 1879 halbwegs plausibel erscheint - frei nach Marx: Revolverhelden aller Länder, vereinigt euch!

Stilistisch pendelt Fuqua dabei irgendwo zwischen Comic und dem Italo-Western. So wirkt beispielsweise die sorgsam eingeleitete Zuspitzung mit vielen Close-Ups auf die Gesichter der Protagonisten in der Szene, in der die Sieben auf den korrupten Sheriff und seine Deputies treffen, wie eine Verbeugung vor dem italienischen Großmeister Sergio Leone. Mit dem klassischen Western, zu deren Vertretern ja auch die 60er Version zählt, hat der Amerikaner hingegen - kaum überraschend - nicht viel am Hut. Seine größte Stärke, nämlich mitreißende Action makellos zu inszenieren, kommt besonders in dem ausgedehnten Showdown zur Geltung, der keine Wünsche offen lässt und für die ein oder andere Länge im Vorfeld entschädigt. Hier werden wirklich alle Register gezogen und ein wahres Feuerwerk abgebrannt.

Unter dem Strich ist The Magnificent Seven ein recht unterhaltsamer Film geworden, der mit soliden Darstellern und grandios inszenierter Action aufwarten kann. Fuqua liefert das, was man von ihm erwarten konnte, und für zwei kurzweilige Stunden reicht das allemal.