Samstag, 16. November 2024

BONES AND ALL (Luca Guadagnino, 2022)

The world of love wants no monsters in it.

Es kann vielfältige Anlässe geben, einen bestimmten Film zu schauen. In diesem speziellen Fall war es der Titel, der mich auf magische Weise anzog. Ein Film, der Bones and all heißt, kann nur gut sein, so meine Schlußfolgerung. Und tatsächlich entpuppte sich Bones and all als ziemlich kranker Film genau nach meinem Geschmack.

Angesiedelt ist die Handlung in den 80er Jahren, was der Atmosphäre ungemein zuträglich ist. Im Mittelpunkt des Geschehens steht die 18jährige Maren, die eine rätselhafte Lust nach menschlichem Fleisch verspürt, die sie nur für eine gewisse Zeit unterdrücken kann, bevor sie wieder "hungrig" wird. Nachdem sie in ihrem aktuellen Wohnort verhaltsauffällig geworden ist, muss sie mit ihrem Vater (der dieses Verlangen nicht verspürt, aber um die Situation seiner Tochter weiß) Hals über Kopf fliehen. Zu allem Überfluss macht sich ihr Vater während sie schläft aus dem Staub und hinterlässt ihr lediglich ein Bündel Geldscheine, ihre Geburtsurkunde und eine Nachricht in Form einer besprochenen Tonband-Kassette. Da sie nicht weiß, wohin sie gehen soll, beschließt sie, ihre Mutter zu suchen, die sie kurz nach ihrer Geburt verlassen hat. Auf ihrer Reise lernt sie den jungen Lee kennen, der die gleiche kannibalistischen Gelüste hat wie sie.

Ich bin die Sichtung natürlich mal wieder völlig unvorbereitet angegangen und hatte keine Ahnung, was mich erwartet. Daher hat mich die Szene zu Beginn, als Maren völlig unvermittelt ihrer Klassenkameradin das Fleisch vom Finger beißt, fast aus dem Sessel gehauen. Trotz dieser Ausgangslage ist Guadagninos Film alles andere als ein plakativer Splatterfilm, sondern eher eine Mischung aus romantischem Roadmovie und Coming-Of-Age-Drama. Dazwischen gibt es immer mal wieder sehr drastische Szenen, die zartbesaiteten Gemütern einiges abverlangen, und einige wenige gut sitzende Schockmomente. Vor allem das Treffen zwischen Maren und ihrer Mutter wird mir nachhaltig in Erinnerung bleiben. Während der Sichtung fühlte ich mich mehrfach an Bigelows Near Dark erinnert, obgleich dieser eine völlig andere Stimmung verbreitet und darüber hinaus auch von Vampiren handelt. Gewisse Parallelen gibt es aber durchaus.

Hervorzuheben ist die Leistung der beiden Hauptdarsteller, der Kanadierin Taylor Russell, die beim Dreh schon 27 Jahre alt war aber deutlich jünger wirkt, und des ein Jahr jüngeren US-Amerikaners Timothée Chalamet. Die Chemie zwischen den beiden stimmt und beide verkörpern ihre Außenseiter-Rollen und die sich daraus ergebenden inneren Konflikte äußerst glaubhaft. Und die Szene, in der Maren merkt, dass ihr Vater sie verlassen hat, ist wirklich herzzerreißend.

Bones and all ist ein mitreißender Genre-Bastard, der über die gesamte Spieldauer zu fesseln weiß und mich nach 130 Minuten begeistert entließ. Sehr gut!


MEN (Alex Garland, 2022)

Men do strike women sometimes.

Nach dem Selbstmord ihres Mannes James mietet Harper für zwei Wochen ein abgelegenes Landhaus in der Grafschaft Herefordshire im Westen Englands, um den Kopf freizubekommen und die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Doch bald wird aus der anfänglichen Idylle ein Albtraum.

Garlands dritter Film hat mich zunächst ziemlich verstört und ratlos zurückgelassen. Auch hier wird die Zuschauererwartung wieder gnadenlos unterlaufen und so ist Men ein völlig anderer Film als er zunächst zu sein scheint. Äußerlich ins Gewand eines Horrorfilms gekleidet, ist er in Wahrheit die Selbstfindungsreise einer Frau, die von unterschwelligen Schuldgefühlen geplagt wird, dahingehend, ihren Mann in den Selbstmord getrieben zu haben. Als Zuschauer weiß man, dass dies so nicht stimmt, da man in den mehrfach in nichtchronologischer Reihenfolge eingestreuten Rückblenden erfährt, dass James seine Frau zuvor massiv bedrängt und ins Gesicht geschlagen hat. Sehr oberflächlich betrachtet könnte man sagen, Men sei ein misogyner Film, weil er Harper die Schuld an den Geschehnissen zuzuweisen scheint. Der Pfarrer, dem sie ihre Geschichte erzählt, spricht dies ausdrücklich an, indem er sie fragt, ob sie ihrem Mann denn Gelegenheit gegeben habe, sich zu entschuldigen. Die Tatsache, dass er sie geschlagen hat, spielt er hingegen mit dem oben stehenden Zitat herunter.

Tatsächlich ist Men aber genau das Gegenteil eines frauenfeindlichen Films. Vielmehr treibt er die männlichen Argumentationsmuster auf die Spitze, indem er Harpers Schuldkomplexe in Form körperlicher und psychischer Bedrohungen manifestiert. Sehr bezeichnend ist die Diskussion mit dem Polizisten, in der dieser Harper erklärt, warum er den Mann, der sie bedroht hat, nach der Verhaftung wieder freigelassen hat. Schließlich sei es nicht so, dass er etwas Wertvolles gestohlen habe. Er habe lediglich einen Apfel entwendet. Ihren Beteuerungen, dass er sie verfolgt und bedroht habe, schenkt er keinen Glauben. Eine Situation, der sich in unserer "zivilisierten" Gesellschaft wahrscheinlich viele Frauen ausgesetzt sehen.

Im Laufe der Handlung fügt Harper dem Angreifer, der sich ihr gegenüber in Gestalt mehrerer Personen zeigt, die letztlich aber alle derselbe ("grüne") Mann sind (hervorragend verkörpert von Rory Kinnear) genau die Verletzungen zu, die James bei seinem Sprung aus dem Fenster erlitten hat. Dabei handelt sie jedoch stets in Notwehr bzw. im Falle von Geoffrey handelt es sich um einen Unfall. Die wahrlich ekelhafte und für meine Begriffe zu sehr in die Länge gezogene "Geburtszene" stellt die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau auf den Kopf und mündet schließlich in das vorhersehbare Ergebnis. Am Ende rückt Garland dann das Bild wieder zurecht als Harpers Freundin Riley am Landhaus ankommt und der Zuschauer erkennt, dass sie hochschwanger ist, nachdem man zuvor immer nur ihr Gesicht gesehen hat.

Men ist ein Film, der mich nach der Sichtung noch lange beschäftigt hat. Die genaue Bedeutung des "Grünen Mannes" und der Sheela-na-gig-Skulptur sind mir immer noch nicht ganz klar, wobei letztere natürlich die Fruchtbarkeit symbolisiert. Der Film schreit geradezu nach einer Zweitsichtung, die dann womöglich die Zusammenhänge noch etwas deutlich werden lässt. Am Ende bleibt das etwas unbefriedigende Gefühl, den Kern des Films nicht in Gänze durchdrungen zu haben. In jedem Fall aber untermauert er meinen bisherigen Eindruck, dass Alex Garland einer der interessantesten Filmemacher der Gegenwart ist.

Samstag, 9. November 2024

ANNIHILATION (Alex Garland, 2018)

 I think you're confusing suicide with self-destruction. 

Nach einem Meteoriteneinschlag hat sich in unmittelbarer Nähe eines Leuchturms in einem Naturschutzgebiet an der Westküste Floridas eine merkwürdige Zone gebildet, sie sich immer weiter ausbreitet und ihre Umgebung zu bizarren Mutationen veranlasst. Nachdem alle Versuche scheiterten, das Innere der Zone zu erforschen, weil keiner der entsandten Soldaten zurückkehrte, wird ein Team weiblicher Wissenschaftler in die Zone geschickt.

Alex Garlands zweite Arbeit widersetzt sich den gängigen Zuschauererwartungen ebenso wie Ex Machina und Civil War dies tun (seinen dritten Film Men kenne ich noch nicht) und alleine deswegen hat der Brite einen Stein bei mir im Brett. Inwieweit er sich bei der Umsetzung nach der geleichnamigen literarischen Vorlage richtete, kann ich nicht beurteilen, da ich diese nicht kenne. Die Frage ist für mich ohnehin nicht relevant, da Film und Literatur zwei Kunstformen sind, die nach meiner Auffassung losgelöst voneinander zu betrachten sind.

Vermutlich wäre es ein leichtes gewesen, aus der Vorlage einen der üblichen Mutanten-Monster-Horrorfilme zu machen, und ich bin sicher, damit wäre Annihilation an den Kinokassen weitaus erfolgreicher gewesen als er es tatsächlich war. So aber ist Garlands zweite Regie-Arbeit in erster Linie eine Reflexion über Identität und das eigene Ich. Dabei vermengt er durchaus geschickt Elemente diverser Science-Fiction-Filme wie 2001, Alien, The Bodysnatchers oder auch Soderberghs Solaris zu einem wilden Mix, der mich außerordentlich gut unterhalten hat. Vor allem aber macht er nicht den Fehler, die Geschehnisse bis ins Detail erklären zu wollen, sondern überlässt vieles der Interpretation des Zuschauers. Das Ende ist dennoch recht eindeutig und auch ziemlich vorhersehbar, aber das tut dem Vergnügen keinen Abbruch. Bei den Darstellerinnen können insbesondere Natalie Portman und Jennifer Jason Leigh überzeugen.

Montag, 4. November 2024

THE LIGHTHOUSE (Robert Eggers, 2019)

Bad Luck To Kill A Sea Bird.

Verstörendes Kammerspiel um zwei Leuchtturmwärter, die aufgrund des Wetters und des wilden Seegangs auf einem kleinen Felsen vor der Küste von Nova Scotia von der Zivilisation abgeschnitten sind und langsam aber sicher dem Wahnsinn verfallen. Im Gegensatz zu seinen beiden anderen Filmen verzichtet Eggers hier auf den Einfluss des Übernatürlichen und beschränkt sich auf bizarre Visionen, die insbesondere den jungen Thomas Howard heimsuchen. Als Zuschauer ahnt man früh, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen kann und so nehmen die Dinge ihren unheilvollen Lauf. Gegen Ende wird es immer schwieriger zwischen realen Geschehnissen und dem Delirium der Protagonisten zu unterscheiden.

Die düsteren Schwarzweißbilder im beinahe quadratischen Seitenverhältnis 1,19:1 verleihen dem Ganzen eine außergewöhnliche Atmosphäre und das groteske Klangbild, maßgeblich beeinflusst vom Tosen der See und dem peitschenden Regen, unterstreicht dies perfekt. Abgesehen von der jungen Dame, die die Meerjungfrau verkörpert, gibt es nur die beiden Hauptdarsteller Willem Dafoe und Robert Pattinson, die ihre jeweiligen Aufgaben hervoragend meistern.

The Lighthouse ist kein Horrorfilm im eigentlichen Sinne, eher eine Schauergeschichte im Lovecraft'schen Stil, gepaart mit Einflüssen alter Seefahrergeschichten. Ein Erlebnis der besonderen Art und ganz weit weg vom Mainstream-Kino der Gegenwart.

Sonntag, 3. November 2024

THE VVITCH (Robert Eggers, 2015)

Did ye make some unholy bond with that goat?

Ein sehr guter Horrorfilm, angesiedelt im Neuengland des 17. Jahrhunderts. Gute Horrorfilme sind ähnlich selten wie gelungene Remakes. Das hier ist einer, wobei der Horror eher subtil ist und sich vorwiegend im Kopf des Zuschauers abspielt. Bemerkenswert in jedem Fall die Detailversessenheit, mit der Eggers hier zu Werke geht und ähnlich wie später bei The Northman den Zuschauer ein paar hundert Jahre zurück in eine längst vergangene Epoche katapultiert. Dabei schafft er eine immens dichte und durchweg beklemmende Atmosphäre, die mich von den ersten Minuten an in ihren Bann zog. Die guten Darsteller tun das ihre. 
 
Das Setting erinnert im weitesten Sinne an ein Kammerspiel, obwohl viele Szenen in freier Natur spielen und die räumliche Enge somit nicht gegeben ist. Dennoch verfestigt sich rasch nach dem rätselhaften Verschwinden des Säuglings der Eindruck, dass die Protagonisten den Umständen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind, wobei die räumliche Begrenzung eher durch die Abgeschiedenheit der Familie fernab der Zivilisation erzeugt wird. Neben der schwer greifbaren Bedrohung, die von dem nahegelegenen Wald auszugehen scheint, und dem zunehmenden Hunger, dem sich die Protagonisten aufgrund der verdorbenen Ernete ausgesetzt sehen, beginnt die anfangs funktionale Familie sich nach und nach innerlich zu zersetzen. Vom anfänglichen Zusammenhalt ist bald nicht mehr viel übrig. Stattdessen dominieren zunehmend Argwohn und Misstrauen unter den Mitgliedern der Familie, die sich alsbald gegenseitig beschuldigen, für die Geschehnisse verantwortlich und/oder vom Teufel besessen zu sein. William, das Familienoberhaupt, versucht nach Kräften, den Auflösungserscheinungen entgegenzuwirken, sehr schön symbolisiert durch seine immer grimmigeren Holzhack-Aktionen.

Die Tatsache, dass der komplette Film in altenglischer Sprache gedreht wurde, trägt enorm zur Authentizität bei, wobei ich gestehen muss, dass das die Sichtung für jemanden wie mich, dessen Muttersprache nicht englisch ist, etwas anstrengend macht. Wortwahl und Satzbau unterscheiden sich doch erheblich vom heute gängigen Englisch. Sich darauf dennoch einzulassen ist aber in jedem Fall lohnenswert, zumal dies enorm zur ohnehin schon dichten Atmosphäre beiträgt. Ein toller Film!

Samstag, 2. November 2024

THE NORTHMAN (Robert Eggers, 2022)

I will avenge you, Father!

Der 10jährige Amleth, Sohn des Wikingerkönigs Aurvandil, muss mitansehen, wie sein Vater von dessen Halbbruder getötet und seine Mutter verschleppt wird. Ihm selbst gelingt die Flucht vor seinen Häschern und er schört blutige Rache.
 
Atmosphärisch dichte und sehr intensive Rache-Geschichte, angesiedelt im Skandinavien des 10. Jahrhunderts und basierend auf der Amleth-Sage, die u.a. auch die Grundlage für Shakespeares Hamlet war. Hervorzuheben ist die detailverliebte Ausstattung: die tollen Kulissen und Kostüme tragen maßgeblich zu einer authentischen Darstellung der Epoche bei, in der die Handlung angesiedelt ist. Überzeugende Darsteller, phantastische Landschaftsaufnahmen (größtenteils gedreht auf Island) und ein deftiger Gewaltgrad sind ebenfalls auf der Haben-Seite zu vermerken. Alexander Skarsgård in der Titelrolle kannte ich bisher nur aus Legend of Tarzan, wo er mir nicht sonderlich gefiel. Hier macht er seine Sache aber ausgesprochen gut und verkörpert den nach Rache dürstenden Königssohn sehr überzeugend.

Die starke Verwebung der Erzählebene mit zahlreichen Elementen der nordischen Mythologie und die wiederkehrenden Ausflüge ins Phantastische sind vermutlich nicht jedermanns Sache. Mir gefiel das durchaus und weckte Erinnerungen an den fabelhaften Valhalla Rising des von mir sehr geschätzten dänischen Filmemachers Nicolas Winding Refn.

Sonntag, 27. Oktober 2024

CIVIL WAR (Alex Garland, 2024)

 I've never been scared like that before. And I've never felt more alive.

In einer zeitlich nicht näher bestimmten Zukunft herrscht in den USA ein Bürgerkrieg, in dem sich das vom Präsidenten, der sich in einer irregulären dritten Amtszeit befindet, geführte Militär und eine Bürgerwehr aus kalifornischen und texanischen Streitkräften gegenüberstehen und um die Vorherrschaft im Land kämpfen. Die genauen Hintergründe werden im Unklaren und damit der Fanstasie des Zuschauers überlassen, und das ist auch gut so.

Die Ausgangslage ist also schon äußerst vielversprechend und weckt natürlich - untermauert durch den Filmtitel - Assoziationen an den amerikanischen Sezessionskrieg in den 1860er Jahren, in dem sich wie quasi auch hier Nord- und Südstaaten feindlich gegenüber standen. Folgerichtig werden auch die rebellierenden Südstaaten vom Präsidenten als "secessionists" bezeichnet. Für mich überraschend - ich hatte nur den Trailer gesehen und im Vorfeld sonst keine Infos über den Film - stehen hier nicht die kriegerischen Handlungen im Vordergrund, sondern ein Reporterteam, das bis zum Präsidenten vordringen will, um diesen zu interviewen. 

Garlands Film ist viel mehr ein dystopisches Roadmovie als ein Kriegsfilm. Im Zentrum steht dabei die junge ehrgeizige Fotografin Jessie, der es gelingt, ihrem Idol, der erfahrenen Kriegsfotografin Lee Smith (souverän: Kirsten Dunst) nahezukommen und diese gegen deren Willen auf der Reise nach Washington zu begleiten. Garland erzählt dies als klassiche Coming-of-Age-Geschichte, eingebettet in das Szenario eines amerikanischen Bürgerkrieges. Während der Reise macht Jessie eine Wandlung durch vom zurückhaltenden, ängstlichen Mädchen, das sich im Angesicht der ersten Morde übergibt, hin zur abgebrühten professionellen Fotografin, die unbeirrt draufhält, wenn sich ein lohnenswertes Motiv bietet. Und ganz nebenbei verursacht sie dabei durch ihr ungestümes Verhalten nach und nach das Ableben all ihrer Begleiter.

Am Ende übertreibt Garland es vielleicht etwas, rundet andererseits jedoch die Geschichte auf passende Weise ab. Insgesamt eine runde Sache.

Donnerstag, 26. Oktober 2023

UNFORGIVEN (Clint Eastwood, 1992)

He should've armed himself if he's going to decorate his saloon with my friend.

Ich kann mich noch gut an meine Begeisterung erinnern, als ich damals, 1992, im Kino war und Unforgiven erstmals gesehen habe. Seither hatte ich viele Begegnungen mit ihm und bis heute hat Eastwoods finale Abrechnung mit dem Western nichts von ihrer Faszination verloren. Er korrigiert hier auf drastische Weise das Bild des wortkargen, kaltblütigen Revolverhelden, den er selbst jahrzehntelang verkörpert hatte, u.a. in den Dollar-Filmen Sergio Leones. Nicht umsonst ist Unforgiven Don Siegel und dem italienischen Großmeister gewidmet, die beide so etwas wie Eastwoods Mentoren waren. Ich bin überzeugt, sie hätten ihre helle Freude an Eastwoods Meisterwerk gehabt, hätten sie die Veröffentlichung noch erlebt.

Darstellerisch griff er dabei in die Vollen: mit Gene Hackman, Richard Harris und Morgan Freeman versammelte er eine beeindruckende Riege in die Jahre gekommener Recken, die allesamt Gala-Vorstellungen abliefern. Den größten Schauwert bieten aber die wundervollen Landschaftsaufnahmen der kanadischen Provinz Alberta, in der der Film größtenteils gedreht wurde.

Unforgiven ist ein durch und durch großartiges Werk, Eastwoods beste Regie-Arbeit und ganz nebenbei der beste Western der letzten 50 Jahre. 

 

Mittwoch, 5. Februar 2020

THE MULE (Clint Eastwood, 2018)

Eastwoods Film ist inspiriert von der wahren Geschichte des Drogenkuriers Leo Sharp, der 2011 im Alter von 87 Jahren verhaftet wurde. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Biographie. Eastwood nimmt lediglich die Ausgangssituation als Grundlage für seinen Film um den fiktiven Earl Stone, einen Pflanzenzüchter, dessen Liebe zu seinen Blumen größer ist als die zu seiner Familie. Dies führt u. a. dazu, dass seine Tochter Iris seit Jahren nicht mehr mit ihm spricht. The Mule ist in erster Linie ein Familiendrama, wobei die zentrale Bedeutung der Vater-Tochter-Beziehung auch dadurch untermauert wird, dass die Rolle der Tochter von Eastwoods leiblicher Tochter verkörpert wird, die in der Vergangenheit schon mehrfach mit ihm zusammengearbeitet hat.

Earl ist ein lebender Anachronismus, ein alter Mann, der aus der Zeit gefallen ist, der Probleme hat, mit den neuen Medien und den Errungenschaften der Technik mitzuhalten. Seine Ignoranz gegenüber dem Internet und speziell dem Online-Handel trägt letztlich mit dazu bei, ihn in den finanziellen Ruin zu treiben, was wiederum dazu führt, dass er sich als Drogenkurier anheuern lässt. Während seine mexikanisch-stämmigen Kontaktleute ihn anfangs misstrauisch beäugen, entwickelt sich zunehmend ein beinahe freundschaftliches Verhältnis zwischen ihnen. 

Dabei stellt sich im Verlauf des Films heraus, dass Earl gar nicht so unbeholfen und unbedarft ist, wie es zu Beginn den Anschein hat. So gelingt es ihm beispielsweise, ein für ihn äußerst bedrohliches Zusammentreffen auf einer einsamen Landstraße mit einem Polizisten und seinem Drogenhund auf elegante Art und Weise zu lösen. Oder er erzählt locker beim Frühstück in einem Motel einem Drogenfahnder von seinem schwierigen Verhältnis zu seiner Tochter, wohl wissend, dass dieser auf der Suche nach ihm ist, ihn aber aufgrund seines Alters nicht im Verdacht hat, der Gesuchte zu sein.

Was The Mule aber vor allen Dingen auszeichnet, ist die für seinen Regisseur so typische unaufgeregte Erzählweise. Die seinem Alter und seiner großen Lebenserfahrung geschuldete Gelassenheit, die Earl selbst in für ihn sehr bedrohlichen Situationen stets bewahrt, überträgt sich auf den Zuschauer und macht die Sichtung des Films zu einem sehr entspannten Erlebnis, was nicht heißen soll, dass es an der nötigen Spannung mangele. Und Clint Eastwood ist auch im stolzen Alter von 88 Jahren noch eine Schau. In den Nebenrollen finden sich zudem namhafte Darsteller wie Laurence Fishburne, Bradley Cooper oder Andy Garcia, auch wenn deren Charakteren nicht viel Raum zur Entfaltung geboten wird.

The Mule ist ein weiterer wunderbarer Film, der wieder einmal vom durchgehend hohen Niveau der Arbeiten eines der größten amerikanischen Regisseure der Gegenwart zeugt und der erfreulicherweise auch im hohen Alter nichts von seiner Umtriebigkeit, was das Filmemachen angeht, verloren zu haben scheint.

Freitag, 10. Januar 2020

RAMBO: LAST BLOOD (Adrian Grunberg, 2019)

All the ones I‘ve loved are now ghosts

Die Frage, ob es eines weiteren Rambo-Films bedurft hätte, kann man ohne großes Nachdenken mit nein beantworten. Dies gilt aber im Grunde genommen auch schon für die drei Vorgänger, denn Rambos Geschichte war schon am Ende von First Blood auserzählt. Keiner der Nachfolger erreichte dessen Intensität und Klasse auch nur im Ansatz. Das sieht erwartungsgemäß auch bei Last Blood nicht anders aus, was nun aber keineswegs bedeuten soll, dass es sich um einen schlechten Film handelt. 

Grunberg hatte zuvor mit Get the Gringo, der mir seinerzeit gut gefallen hat, erst einen echten Film vorzuweisen. Schon der Titel seines zweiten Films klingt wie eine Reminiszenz an Ted Kotcheffs Film von 1979 und auch die Tatsache, dass die finale Konfrontation in Rambos Heimat spielt – genauer gesagt sogar auf seiner eigenen Farm – soll natürlich einen Bogen schlagen zu den Anfängen in den Wäldern Washingtons, während die drei anderen Filme allesamt in Asien angesiedelt waren. 

Rambo ist alt geworden und grunzt und brummt inzwischen in einer derart tiefen Tonlage, dass man sich teilweise schon etwas anstrengen muss, um die Dialoge zu verstehen. Und auch in kämpferischer Hinsicht scheint er müde geworden zu sein. Seine völlig überstürzte und planlose Rettungsaktion in Mexiko ist derart stümperhaft umgesetzt, dass er sich schon bei der Beobachtung des Hauses bald einer hoffnungslosen Übermacht gegenüber sieht und deftige Prügel bezieht. Seine Mission geht schief und er kann seine Geliebte Pflegetochter Gabriella nur noch tot nach Hause bringen. Bevor er sich endgültig zur Ruhe setzt – sehr schön repräsentiert durch den Schaukelstuhl auf der Veranda – will der alte Mann nur noch eins: blutige Rache. 

Während es bei den drei Vorgängern letztlich immer darum ging, irgendwelche Geiseln zu befreien und heimzubringen, besteht Rambos Mission hier ausschließlich darin, die Mörder Gabriellas zur Strecke zu bringen. Zu diesem Zweck lockt er sie auf seine Farm nach Arizona, wo er über die Jahre ein riesiges unterirdisches Tunnelsystem angelegt hat, das er für die Ankunft seiner Gäste sorgsam mit allerlei schönen Fallen präpariert. Der Einfallsreichtum, mit dem die mexikanischen Menschenräuber dann in der letzten halben Stunde zur Strecke gebracht werden, ist ebenso beachtlich wie der extrem hohe Gore-Faktor. Die rote Suppe spritzt, dass es eine wahre Freude ist. Die Tötung des Anführers wird schließlich wie eine Kreuzigung zelebriert, bevor Rambo ihm mit bloßen Händen das Herz aus der Brust reißt.  

Ernstnehmen konnte man schon die drei Vorgänger nicht, und das gilt natürlich genauso für Last Blood. Unterhaltsam und kurzweilig ist das Ganze ist in jedem Fall, und mehr war auch nicht zu erwarten. Ich hatte jedenfalls meinen Spaß.