Die Sichtung des Films bin ich völlig unvorbereitet angegangen,
d. h. ich hatte vorher weder etwas darüber gelesen noch wusste ich,
worum es überhaupt geht. Dies erwies sich als Glücksfall, denn The
Beguiled nimmt sowohl im Œuvre seines Hauptdarstellers als auch
in dem seines Regisseurs eine Sonderstellung ein.
Das Filmplakat
führt den Zuschauer auf eine falsche Fährte, wobei es mal
dahingestellt sei, aus welchen Motiven die Gestaltung derart
erfolgte. Nachdem Eastwood sich mit seinen vorherigen Filmen einen
Namen als harter Hund gemacht hatte, ist er hier in einer für ihn
ungewöhnlichen Opferrolle zu sehen: als Soldat der Unionisten wird
er im Süden des Landes schwer verletzt und in einem Mädcheninternat
gesund gepflegt. Obwohl schnell klar wird, dass die Leiterin des
Internats beabsichtigt, ihn den Südstaatenpatrouillen zu übergeben,
sobald er sich einigermaßen erholt hat, sieht die Lage für McBurney
zunächst nicht sehr bedrohlich aus. Ihm gelingt es, die Damen nach
und nach um den Finger zu wickeln, was weniger auf seinen Charme
zurückzuführen ist als auf die lange Absenz von Männern und der
daraus resultierende Mangel an männlicher Zuneigung. Doch je stärker
die Dinge zu seinen Gunsten laufen, desto unvorsichtiger wird
McBurney. Er merkt nicht, dass er den Bogen überspannt, obwohl ihm
spätestens der Verrat der nymphomanen Carol Warnung genug hätte
sein müssen. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf – mit einer höchst
unerfreulichen Wendung für McBurney. Doch auch nach der Amputation –
ob sie medizinisch tatsächlich notwendig war oder aus Rache
erfolgte, lässt Siegel bewusst im Dunkeln – meint er noch, die
Lage im Griff zu haben. Statt zu versuchen, ohne weitere Schäden den
Fängen der Damen zu entkommen, geht er immer weiter seinem
Verhängnis entgegen. In seiner grenzenlosen Hybris bringt er alle
gegen sich auf, selbst das Sklavenmädchen stößt er mit einer in
Aussicht gestellten Vergewaltigung vor den Kopf. Und so bekommt er
schließlich das, wonach er regelrecht gebettelt zu haben scheint...
The Beguiled ist eine etwas eigenartige, nichtsdestotrotz aber
äußerst gelungene Mischung aus Bürgerkriegsfilm, Südstaatendrama,
Kammerspiel und Psychothriller. Angesichts meiner bisherigen
Begegnungen mit Siegels Werken hatte ich ihm Vieles zugetraut –
einen solchen Film gewiss nicht. Umso erfreulicher, wie gut alles
zusammenpasst und welch stimmiger Film The Beguiled geworden
ist. Einen erheblichen Anteil daran haben die hervorragenden
weiblichen Darsteller, von Geraldine Page über die spröde Elizabeth Hartman bis zur damals erst
12-jährigen Pamelyn Ferdin. Der Titel, der übersetzt so viel wie Der
Getäuschte bedeutet, ist ebenso treffend wie vielsagend:
McBurney schätzt die ganze Zeit über seine Lage völlig falsch ein;
eine Kette von Irrtümern, die ihm schließlich zum Verhängnis wird.
Wenn man unbedingt will, kann man The Beguiled natürlich auch
als Demontage des von Eastwood bis dahin gepflegten Images des harten
Mannes interpretieren. Muss man aber nicht. Doch klar ist: dem Mann
ohne Namen wäre das nicht passiert...
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