Wenn ich meinem Herzen befehle, dass es stehen bleiben soll, wird es jetzt aufhören zu schlagen?
Während der Scherz zu Beginn, wenn die Mädchen die Hausschuhe der Haushälterin Berta auf dem Boden festnageln und diese dann wie ein Stein darin umfällt, noch an die Streiche des Michel aus Lönneberga erinnern, bleibt dem Zuschauer das Lachen schnell im Hals stecken.
Der zweite Spielfilm der Berliner Regisseurin bietet einen faszinierenden Blick in die menschlichen Abgründe mit dem Fokus auf vier Frauen in verschiedenen Epochen, angefangen von der Zeit vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs bis hin in die Gegenwart. Tod, Todessehnsucht und Verstümmelungen (seelisch wie körperlich) sind einige der zentralen Motive, mit denen die Frauen oder die Personen in ihrem unmittelbaren Umfeld sich auseinandersetzen müssen.
Eine Handlung im klassischen Sinne gibt es nicht. Der wahre Hauptdarsteller ist der Bauernhof in der Altmark, in dessen alten Mauern Erinnerungsfetzen über die Jahrzehnte gespeichert zu sein scheinen. Bruchstückhaft werden sie hervorgekramt, nichtchronologisch und in den verschiedenen Epochen wild hin- und herspringend. Beinahe so, als würden die alten Gemäuer sich an die Menschen erinnern, die dort einst gelebt haben. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die zahlreichen Aufnahmen aus einer Beobachterperspektive mit eingeengtem Gesichtfeld. Eine Kamera, die durch ein Schlüsselloch schaut, ein flüchtiger Blick durch eine leicht geöffnete Tür oder durch Gitterstäbe. So wie diese Aufnahmen nie das ganze Bild preisgeben, kann man als Zuschauer auch in Bezug auf die Geschehnisse oft nur erahnen, was passiert ist. Einiges wird im späteren Verlauf aufgeklärt, vieles bleibt aber im Dunkeln und der Fantasie des Zuschauers überlassen.
Und nicht nur das Sichtfeld ist oft eingeengt, auch das Bildformat vermittelt ein Gefühl der Enge. Hier hat sich Schilinski - vermutlich aus stilistischen Gründen - für das ungewöhnliche Vollbildformat entschieden. Die Szenen der einzelnen Epochen wirken so, als seien sie mit den damals zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten entstanden, wobei dies zu Zeiten der ersten Epoche natürlich nicht ganz passt. Anscheinend hat man hier aber bewusst auf künstliches Licht verzichtet. Sämtliche Innenaufnahmen in der "Alma"-Epoche wirken so, als habe man hier ausschließlich auf natürliches Licht zurückgegriffen. Auffällig auch das Spiel mit der Blende, die immer wieder auftretenden Unschärfen, deren Bedeutung sich mir nicht ganz erschlossen hat. Womöglich eine Anspielung auf die Besonderheit der im 19. Jahrhundert praktizierten Totenfotografie, die sich darin äußerte, dass durch die langen Belichtungszeiten lebende Personen auf den Fotos immer etwas unscharf abgelichtet wurden und nur die Toten richtig scharf dargestellt wurden.
Schon der Filmtitel gibt Rätsel auf. Womöglich bezieht sich der Ausdruck auf den Moment des Fotografierens, in dem das fotografierte Subjekt in die Sonne schaut, da der Fotograf in der Regel mit dem Rücken zur Sonne steht. Und Fotografien spielen eine wichtige Rolle. Familienfotos, Fotos von Toten oder auch die Kombination von beidem, wobei Familienfotos mit frisch Verstorbenen im 19. Jahrhundert gängige Praxis waren. Um den Eindruck zu erwecken, der Leichnam sei noch am Leben, werden mal fix die Augenlider an die Augenbrauen genäht. Und doch wirkt der Titel wie ein Hohn, denn Hoffnung, die man mit der Sonne gleichsetzen könnte, gibt es nicht. Vielmehr wird den Protagonisten die Endlichkeit des Seins und die eigene Bedeutungslosigkeit unbarmherzig vor Augen geführt. Menschen werden geboren, leiden und sterben und am Ende steht der Bauernhof immer noch.
In die Sonne schauen ist ein in allen Belangen außergewöhnlicher Film, der förmlich nach einem zweiten Durchlauf schreit. Schon lange hat mich kein Film mehr nach dem Abspann so sehr beschäftigt.