Dienstag, 30. Juni 2015

PREMIUM RUSH (David Koepp, 2012)

Ich schaue eigentlich nie Filme im Fernsehen. Zum einen wegen der ständigen Werbeunterbrechungen, zum anderen wegen des fehlenden O-Tons. An meine letzte Filmsichtung im Fernsehen kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Das muss viele Jahre her sein. 

Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet Premium Rush der Film ist, mit dem ich gegen meine Gewohnheiten verstoßen sollte. Nicht bewusst, sondern eher zufällig bin ich ob des interessanten Beginns hängengeblieben und habe den Film trotz dreier endlos langer Werbeunterbrechungen zu Ende geschaut. Und tatsächlich erwies sich Koepps Filmchen über einen New Yorker Fahrradkurier als recht kurzweiliges Vergnügen. Die Story ist eher nebensächlich, voller Logikfehler und hat weder Hand noch Fuß. Das macht aber gar nichts, denn der eigentliche Hauptdarsteller ist die Stadt New York mit ihrer bunt gemischten Bevölkerung, dem pulsierenden Leben und dem dichten Verkehr. Durch jenen schlängelt sich der Fahrradkurier Wilee (toll: Joseph Gordon-Levitt) mit einer bewundernswerten Zielsicherheit und Geschmeidigkeit. Die Fahrradstunts sind ganz hervorragend gelungen und lassen einem ein über's andere Mal den Atem stocken. Die Inszenierung ist infolgedessen sehr dynamisch, die Protagonisten sind ständig in Bewegung. Zur Auflockerung und gleichzeitigen Vertiefung der Geschichte gibt es verschiedene Rückblenden, die immer wieder eingestreut werden und nach und nach die Erklärung für Wilees merkwürdigen Auftrag liefern und dafür, warum er von der Polizei verfolgt wird. Das Ende ist ebenso platt wie vorhersehbar, irgendwie aber auch stimmig und den Ton des Films treffend.

Solide Unterhaltung bietet Premium Rush allemal – und mehr will er auch gar nicht. Und die Idee, einen Fahrradkurier ins Zentrum des Films zu stellen, ist zumindest originell. Mir fällt jedenfalls kein vergleichbarer Streifen ein. Und ganz nebenbei ist Dania Ramírez auch ziemlich heiß...

Montag, 29. Juni 2015

MAD MAX: FURY ROAD (George Miller, 2015)

Mit einiger Verzögerung habe ich die berüchtigte Fortsetzung der Mad-Max-Trilogie nun auch gesehen – immerhin noch rechtzeitig, bevor sie aus den Kinos verschwunden sein wird. Die in vielen Kritiken verbreitete grenzenlose Euphorie, die der Film ausgelöst hat, kann ich jedoch nur bedingt nachvollziehen. Mad Max: Fury Road ist ein grandioser Actionkracher, eine irre Achterbahnfahrt, die dem Zuschauer zwei Stunden lang praktisch keine Pause gönnt. Der gesamte Film ist im Prinzip eine einzige lange Verfolgungsjagd. Das ist spektakulär, das ist mitreißend, das ist außerordentlich fesselnd, doch auf der emotionalen Ebene fehlte mir dennoch etwas. Eine gewisse Distanz zu den handelnden Personen lässt sich nicht leugnen. Die zentrale Figur ist nicht Max, der von Tom Hardy solide und unauffällig verkörpert wird, sondern die groß aufspielende Charlize Theron in der Rolle der einarmigen Imperator Furiosa. Neben ihr verkommt der titelgebende Max zur beinahe überflüssigen Randfigur. Trotzdem gelingt es Miller, die inhaltliche Leere so zu kaschieren, dass man sie kaum wahrnimmt. Fury Road strotzt nur so vor verrückten Ideen und witzigen Einfällen. Die Ödnis ist bevölkert von bizarren Figuren, die stellenweise an das Star-Wars-Universum erinnern wie z. B. Immortan Joe, der einige Ähnlichkeit mit Darth Vader aufweist oder den an Zombies erinnernden War Boys, die sich Chrom in den Mund sprühen, um sich aufzupushen. Daneben gibt es eine ganze Reihe skurriler Charaktere und äußerst phantasievoller Fahrzeuge, die zu effektiven Kriegsmaschinen umgebaut wurden.

Das Geschehen spielt sich dann auch hauptsächlich auf der visuellen Ebene ab. Narrativ hat Fury Road nicht allzu viel zu bieten. Dies lässt sich angesichts der vorgenannten Schauwerte allerdings leicht verschmerzen. Den ganzen Wahnsinn kleidet Miller in grobkörnige, überbelichtete Bilder, die eine ganz eigene Schönheit besitzen. Die Actionszenen und Stunts sind allesamt hervorragend gemacht und zudem sehr abwechslungsreich, sodass sich trotz der schieren Masse derartiger Szenen zu keiner Zeit das Gefühl einstellt, Ähnliches schon mal gesehen zu haben. Dabei legt Miller ein dermaßen irrwitziges Tempo vor, dass einem Hören und Sehen vergeht. Am Ende der 120-minütigen Hetzjagd ist man als Zuschauer ähnlich erschöpft wie Max, aber auch glücklich, so blendend unterhalten worden zu sein.

Mittwoch, 24. Juni 2015

JURASSIC WORLD (Colin Trevorrow, 2015)

We need more teeth.

Der Wiederbelebung der Jurassic-Park-Reihe mehr als zwanzig Jahre nach ihrem Beginn habe ich mit einiger Vorfreude entgegen gesehen, zumal ich die bisherige Trilogie erst kürzlich wieder gesichtet hatte. Und Jurassic World liefert genau das, was ich im Vorfeld erwartet hatte: spannungsgeladene Action, deren Hauptattraktion nicht die Schauspieler sondern die Dinosaurier sind, und vor allem atemberaubende Spezialeffekte, die dem Zuschauer die lange Zeitspanne, die seit dem ersten Film vergangen ist, bewusst machen. War der digitale Ursprung der Viecher bei jenem noch in einigen Szenen erkennbar (wobei auch damals zum Teil Modelle und Puppen verwendet wurden), sehen sie dieses Mal dermaßen echt aus, dass man meinen könnte, es handele sich um lebende Tiere. Glücklicherweise macht Trevorrow nicht den Fehler, die Saurier zu oft zu zeigen. Ein Beispiel dafür ist das erste Auftreten des künstlich geschaffenen Indominus Rex, dessen Präsenz man zunächst nur daran erkennen kann, dass sich die Äste der Bäume bewegen, durch die er sich zwängt. Wobei gerade die Kreation dieses Phantasie-Sauriers eine witzige Anspielung auf das Schneller-Höher-Weiter-Prinzip ist, nach dem Hollywood-Blockbuster funktionieren. Der Tyrannosaurus Rex ist nicht mehr furchteinflößend genug, die Menschen haben sich an ihn gewöhnt. Folglich muss ein neuer Saurier her, der noch größer und noch furchteinflößender ist. Doch auch der Tyrannosaurus Rex hat noch nicht ausgedient. Am Ende hat er seinen großen Auftritt.

Etwas ärgerlich ist die tragende Rolle, die der historisch völlig unbedeutenden und zudem in der im Film gezeigten Form niemals existent gewesenen Spezies der Velociraptoren nun bereits zum vierten Mal beigemessen wird. Ich persönlich würde mir einmal einen Vertreter der Reihe wünschen, der ohne Velociraptor auskommt. Richtig cool hingegen sind die Flugsaurier, die auf die Parkbesucher losgelassen werden. Ein weiteres Highlight ist der riesige Mosasaurus, der leider nur zu zwei kurzen Auftritten kommt, wobei insbesondere die Fütterung mit dem weißen Hai – eine witzige Anspielung auf Jaws – erinnerungswürdig ist. Über die Ungereimtheit, dass ein solches Tier in dem Becken, in dem es im Film gepflegt wird, unmöglich unter Kontrolle zu halten wäre und wahrscheinlich schon lange vor dem Indominus Rex sein Gehege verlassen hätte, muss man großzügig hinwegsehen.

Wie schon bei den Vorgängerfilmen kommen auch bei Jurassic World Schauspieler aus der zweiten Reihe zum Einsatz. Dies sicherlich einerseits aus Budget-Gründen, andererseits um nicht zu sehr von der Hauptattraktion abzulenken. Dennoch ist es gelungen, mit Chris Pratt, der übrigens aussieht wie der Fernsehkoch Steffen Henssler, einen starken Hauptdarsteller zu verpflichten, der zudem über eine charismatische Ausstrahlung verfügt. Weniger überzeugend ist Bryce Dallas Howard, deren stereotyper Charakter der oberflächlichen Geschäftsfrau, die im Laufe der Handlung geläutert wird, nicht sonderlich überzeugend ist. Immerhin demonstriert sie, dass man auch in High Heels über Stock und Stein rennen kann, bis sie irgendwann plötzlich flachere Schuhe trägt. Wer Jurassic World auf Logikfehler prüft, wird sie reichlich finden. Dies tut dem hohen Unterhaltungswert indes keinen Abbruch, und angesichts des überwältigenden Erfolgs an den Kinokassen darf sich das Volk mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf weitere Fortsetzungen freuen. Vielleicht dann auch mal eine ohne Velociraptor.

Dienstag, 23. Juni 2015

EL ORFANATO (Juan Antonio Bayona, 2007)

El Orfanato ist ein klassischer Gruselfilm traditioneller Machart, der keinen Preis für Originalität gewinnt. Die Story ist gut durchdacht und kann mit einem kleinen Twist aufwarten, den man so nicht unbedingt erwarten musste. Das alles ist spannend erzählt und in ästhetischen Bildern inszeniert. Bayona bedient sich der bewährten Stilmittel und setzt die Schockeffekte sparsam und wohldosiert ein. Dabei verzichtet er fast gänzlich auf blutige Details, sieht man von Benignas scheußlichem Unfall ab. Von dem alten Landhaus geht von Anfang an eine diffuse Bedrohung aus, die sich nie richtig greifen lässt. Mit zunehmender Spieldauer macht sich ein Gefühl von Unwohlsein breit, das sich immer weiter verstärkt. Und auch das Ende kann überzeugen – spätestens hier versagen bekanntlich viele Horrorfilme. Negativ aufgestoßen ist mir hingegen der Aspekt, dass Laura Ewigkeiten braucht, um zu verstehen, dass die Kinder mit ihr spielen wollen, während dem Zuschauer das aufgrund der vorherigen Geschehnisse in dem Moment klar wird, in dem sie die Puppe in Simóns Bett findet. Dies ist aber nur ein kleiner Makel, der sich leicht verschmerzen lässt. Darstellerisch gibt es jedenfalls nichts zu beanstanden, insbesondere Belén Rueda liefert eine starke Vorstellung und sieht dabei auch noch recht ansprechend aus.

El Orfanato ist ganz gewiss kein Film, der einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt oder gar das Genre revolutioniert. Neues hat er im Grunde genommen nicht zu bieten, vielmehr vermengt er die bekannten Zutaten nach altbewährten Rezepten und kredenzt daraus eine Mischung, die einem sofort bekannt vorkommt, dessen ungeachtet aber wohlbekömmlich ist. Und für spannende und atmosphärisch dichte 100 Minuten mit leichtem Gruselfaktor ist er allemal gut.

Sonntag, 21. Juni 2015

IN THE BLOOD (John Stockwell, 2014)

When all the bastards are gone and dead, only then rest your head.

Ava und Derek, die beide auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken und sich während des Drogenentzugs kennen gelernt haben, verbringen ihre Flitterwochen auf einer Karibikinsel (weiß gar nicht, ob gesagt wird, auf welcher Insel sie sich befinden – hab's jedenfalls nicht mitbekommen und ist im Prinzip auch egal). Jedenfalls hat Derek einen schlimmen Unfall und verschwindet auf dem Weg ins Krankenhaus. Ava, die nur wenig Unterstützung durch die örtliche Polizei erfährt, macht sich auf die Suche nach ihrem Mann.

In the Blood ist ein günstig produziertes B-Movie mit zum Teil amateurhafter Kameraführung, schlechtem Schnitt und abenteuerlicher Story. Und dennoch hatte ich meine Freude daran, denn das Ganze ist spannend und in recht hohem Tempo erzählt, der Gewaltgrad ist deftig und einige bekannte Gesichter sind auch dabei. Luis Guzman, Danny Trejo und Treat Williams zum Beispiel. Die Rolle des Derek spielt Cam Gigandet, dessen Gesichtszüge mich stark an den jungen Steve McQueen erinnerten. Die Hauptattraktion ist aber die ehemalige Mixed-Martial-Arts-Kämpferin Gina Carano, die zwar nur über wenig schauspielerisches Talent verfügt, dafür aber über eine starke erotische Ausstrahlung. Dass sie zudem äußerst „schlagfertig“ ist, hat sie in Soderberghs Haywire eindrucksvoll bewiesen, wobei sie im Vergleich zu jenem hier etwas mehr Gewicht auf die Waage bringt. Dies mögen dem asketisch veranlagten Zuschauer vermutlich fünf Kilo zu viel sein, ich hingegen finde, dass die zusätzlichen Pfunde ihre Rundungen umso besser zur Geltung bringen. In der Wahl ihrer Mittel ist sie – wie auch schon im vorgenannten Film – wenig zimperlich. Ob Waterboarding auf einer öffentlichen Toilette, gezielte Stiche in verschiedene Organe eines ihrer Opfer oder Erstickungssimulationen mit einer Plastiktüte – hier wird schnell klar, dass mit der Frau nicht zu spaßen ist. Gnadenlos bringt sie jeden zur Strecke, der mit dem vermeintlichen Tod ihres Mannes irgendwie in Verbindung steht. Sei es die Krankenschwester an der Rezeption, die sie angelogen hat oder der korrupte Polizeichef. Darüber hinaus ist sie auch noch hart im Nehmen. Mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt in einem Streifenwagen? Kein Problem für die Dame – mal eben schnell das Handgelenk ausgerenkt, aus den Handschellen geschlüpft, Gelenk wieder eingerenkt und 20 Sekunden später mit derselben Hand dem Gegner die Fresse poliert – so einfach geht das. In ihrer rasenden Wut lässt sie sich weder von einem Schuss in die Schulter noch einem Messerschnitt quer über den Bauch aufhalten. Was beim Lesen wahrscheinlich lächerlich klingt, wirkt im Film aber gar nicht so schlimm, weil man ihr abnimmt, dass sie so unter Adrenalin steht, dass sie das kaum wahrnimmt.

Amaury Nolasco gibt im Übrigen einen durchaus charismatischen Gegenspieler ab und ist ebenfalls ein harter Bursche. Obwohl er schwer krebskrank ist – was man ihm überhaupt nicht ansieht, prügelt und schießt er sich durch die Gegend wie ein junger Gott. Ein Treffer in den eigenen Oberschenkel lässt ihn ein paar Minuten humpeln, bevor er relativ schnell wieder rund läuft und sich schließlich einen fast ebenbürtigen Kampf mit der wilden Gina liefert. Über einen Mangel an Logikfehlern und Ungereimtheiten kann man sich wirklich nicht beschweren, aber der Unterhaltungsfaktor ist hoch genug, um sich dadurch den Spaß nicht verderben zu lassen. Für Freunde anspruchsloser und kurzweiliger Unterhaltung, die man mit im Ruhemodus befindlichen Hirn genießen kann, durchaus sehenswert. Alle anderen sollten einen großen Bogen um In the Blood machen.

Freitag, 19. Juni 2015

EX MACHINA (Alex Garland, 2015)

Eine der besten Szenen des Films ist jene, in der der (weiblich aussehende) Android Ava vor den Schränken mit den anderen Androiden steht wie eine Frau vor ihrem Kleiderschrank, die sich fragt, was sie heute anziehen soll. Der Blick beinhaltet berechnendes Kalkül, was wohl von größtem Nutzen sein würde, gepaart mit einem Hauch von weiblicher Eitelkeit.

Alex Garland, der sich seine Meriten bisher hauptsächlich als Autor und Drehbuchschreiber (u. A. Für Danny Boyle) erworben hat, gibt mit Ex Machina sein Debüt als Regisseur. Der Inszenierung sieht man dies allerdings nicht an, höchst professionell und abgeklärt wirken die kalten, überaus stylischen Bilder, mit denen die Geschichte erzählt wird. Das zugrunde liegende Thema, nämlich was den Menschen von einer Maschine unterscheidet und die sich daraus ergebenden philosophischen Fragen nach dem, was Menschlichkeit ausmacht und der Existenz echter künstlicher Intelligenz, sind alles andere als neu und schon Grundlage diverser Filme gewesen, doch ist Garlands Herangehensweise an das Thema höchst interessant. Mehr als einmal werden Parallelen zu Ridley Scotts Meisterwerk Blade Runner deutlich, auch wenn Atmosphäre und Inszenierung sich stark von jenem unterscheiden. Die kargen, fabrikartigen Räume, die der Internet-Milliardär Nathan bewohnt, wirken lebensfeindlich und steril. Das Bauwerk erinnert eher an ein Krankenhaus oder gar ein Gefängnis als eine heimelige Wohnung. Umso interessanter der Kontrast zu den wunderschönen Naturaufnahmen der unmittelbaren Umgebung, die den Eindruck eines Gefängnisses noch verstärken. Die eigentliche Story ist relativ simpel und wirkt – vermutlich gerade deshalb – gar nicht weit hergeholt, wobei es allerdings die ein oder andere durchaus überraschende Wendung gibt, die man so nicht unbedingt vorhersehen kann. Die Inszenierung ist sehr zurückhaltend und minimalistisch, was zum Teil sicherlich dem geringen Budget von 11 Millionen Dollar geschuldet ist. Dieses ist offensichtlich zum größten Teil in die Effekte geflossen, denn diese sind ganz hervorragend gelungen. 

Ex Machina ist ein ebenso faszinierender wie fesselnder Film, der den Zuschauer von Beginn an in seinen Bann zieht. Ein Debüt, das mich nachhaltig beeindruckt hat.

Sonntag, 7. Juni 2015

CALVARY (John Michael McDonagh, 2014)

Your friend is just an enemy you haven't made yet.

Calvary bezeichnet im englischsprachigen Raum den Hügel, auf dem Jesus gekreuzigt wurde. Diese Tatsache war demjenigen, der für den deutschen Titel verantwortlich war, anscheinend nicht bekannt oder wie sonst ist es zu erklären, dass der Film in Deutschland unter dem unsäglich platten Titel Am Sonntag bist du tot erschienen ist? Dabei ist der Originaltitel durchaus treffend, denn die Parallelen zwischen der Handlung und der Kreuzigung Jesu sind nicht zu übersehen. Erzählt werden die Geschehnisse der letzten Woche im Leben des Pfarrers James Lavelle, der in einem kleinen irischen Küstenort über seine Gemeinde wacht. Dies tut er mit viel Hingabe. Stets hat er ein offenes Ohr für die Nöte der Menschen, von denen jeder sein Päckchen zu tragen hat. Und so wie Jesus für die Sünden der Menschheit ans Kreuz geschlagen wurde, soll auch Pfarrer James für die Sünden Anderer sterben. Er ist ein guter Mensch und doch soll er büßen für die bösen Taten eines Anderen, der eines der Mitglieder seiner Gemeinde im Kindesalter jahrelang missbraucht hat. There's no point in killing a bad priest, sagt sein angehender Mörder zu ihm im Beichtstuhl. Killing a good one? That would be a shock!

Calvary greift das ebenso schwierige wie aktuelle Thema des Missbrauchs von Kindern durch die Katholische Kirche auf, macht dies jedoch auf eine höchst gefühlvolle und dezente Art und Weise. Seine zentralen Themen sind Sünde, Schuld und Vergebung. Wiedergutmachung gibt es nicht – das wird bei jeder einzelnen der erzählten Geschichten deutlich, und so bleibt den Sündern nur Vergebung und Versöhnung – im besten Fall.

Wie man im Laufe des Films erfährt, hat auch Vater James schwere Fehler gemacht, die sich in seiner nicht ganz unproblematischen Beziehung zu seiner Tochter äußern. Zwar wird kein direkter Zusammenhang zwischen ihren wiederholten Selbstmordversuchen – die in Wahrheit eher Hilfeschreie sind – und seinem Weggang nach dem Tod ihrer Mutter hergestellt, doch liegt die Vermutung nahe, dass Fiona aufgrund dieser einschneidenden Erfahrung nicht in der Lage ist, ihre Beziehungsprobleme im normalen Rahmen zu lösen. Auch hier gibt es keine Wiedergutmachung, aber er schafft es am Ende, mit ihr ins Reine zu kommen.

Das eigentlich Faszinierende an Calvary ist weniger die Frage, wer den Priester ermorden will – er selbst weiß ohnehin von Anfang an, um wen es sich handelt, weil er ihn an der Stimme erkennt – und ob ihm dies gelingt, sondern Vater James bei seinen Gesprächen mit den Angehörigen seiner Gemeinde zu beobachten. Diese haben alle ihre Probleme, und so werden im Laufe der 100 Minuten verschiedene kleine Geschichten erzählt, die in der Person des Pfarrers ein Bindeglied haben. Dabei tun sich zum Teil menschliche Abgründe auf, die man hinter der unscheinbaren Fassade zunächst nicht vermutet. Die wunderschönen Landschaftaufnahmen des britischen Kameramannes Larry Smith, der schon mit seiner Arbeit für Refns Only God forgives zu begeistern wusste, tun Ihr Übriges. Über Calvary liegt eine resignative Grundstimmung, ein Hauch von Schwermut, gepaart mit einer Prise schwarzen Humors. Und wie Jesus ergibt sich Vater James seinem Schicksal. Die zuvor besorgte Waffe wirft er ins Meer, seine Flucht bricht er am Flughafen ab und kehrt nach Hause zurück.

Calvary ist ein feiner kleiner Film, der bewegt und zugleich ausgezeichnet unterhält. Brendan Gleeson trägt den Film mit einer bärenstarken Leistung souverän über die 100 Minuten und auch die übrigen Darsteller können überzeugen. Erstklassige Dialoge und ein gewitztes Drehbuch runden den positiven Gesamteindruck ab. Toll!